Kategorie: Kirche

  • …..und nichts ist geschehen

    Kirche hat Frauen verbrannt – ist sie jemals dafür zur Verantwortung gerufen worden? Aber auch Giordano Bruno hatten Inquisitoren um 1600 mitten in der Stadt des Papstes verbrannt. Hatte man die genussvoll zuschauenden Kleriker jemals geächtet? Hat man sie jemals als Mörder gebrandmarkt?

    Kirche hat gefoltert – sind die Folterer jemals vor Gericht gekommen?

    Kirche hat junge Buben missbraucht – wo sind die Missbraucher hingekommen?

    Kirche hat geschwiegen, wenn sie hätte reden müssen – wo haben sich die Schweiger versteckt?

    Frömmigkeit verhindert keine Kriege. Gerade jetzt in diesen tragischen Zeiten sieht man es wieder und immer wieder. Kirchen stehen nur da und reden und reden und reden – mit gefaltenen Händen. Mütter, Kinder, Väter sterben. Schlimmer noch sind die ganz Gerissenen, die im Namen Gottes hetzen und Aggressoren und Mörder mit Weihwasser besprengen. Das gab es alles schon viele und viele Male. Die Geschichte lehrt es uns. Kreuzzüge damals. Heute, wenige 1000 Km entfernt wird im Namen eines Russengottes gemordet. Und die anderen Götter schauen zu, wie ungeborene Babys im Bombenhagel verrecken. Und empören sich! Mehr aber auch nicht.

    „Die christliche Kirche treibt nicht nur die Gläubigen in die Gräben und segnet die Maschinen, die zum Mord bestimmt sind – sie heilt auch die Wunden, die der Mord geschlagen hat, und ist allemal dabei.“ Kurt Tucholsky hat das geschrieben.

    Der Kirchenhistoriker Hubert Wolf sagt, nachdem er in die Vatikanarchive Einblick genommen hat, „dass der Papst intensiv über das Schicksal der Verfolgten und ermordeten jüdischen Menschen informiert war, und zwar nicht nur auf der großen politischen Ebene, sondern eben auf der ganz persönlichen Ebene, wo hunderte und tausende Bittschreiben ihn tatsächlich erreichten.“ Und Herr Wolf stellt die Frage, warum Pius XII den Holocaust nicht öffentlich verurteilt habe. „Warum hat er sich dem Protest der Alliierten gegen den Holocaust im Winter 1942 nicht angeschlossen?“

    Und sie haben nichts Besseres zu tun, als festzustellen, dass das Zölibat nichts aber schon gar nichts mit dem Priestermangel zu schaffen habe. Das sind die kirchlichen Prioritäten in Zeiten von Mord und Totschlag – wenige Kilometer von uns entfernt.

    Johann.rogger@me.com

  • Es reicht!

    (Nichts gewusst, nichts verhindert, alles vertuscht) 

    Drei Bilder zu Beginn:

    Beispiel 1: Wenn jemand nach einem Autounfall flieht, obwohl er den Unfall verursacht hat, spricht man von Fahrerflucht. Strafbar – wie wir wissen.

    Beispiel 2: Wer einen Unfall sieht, aber nicht hilft, macht sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig. Auch das ist vor Gericht zu verantworten.

    Beispiel 3: Wenn sich Kirchenobere an Kindern vergehen, sie sexuell missbrauchen, dann wird vertuscht, gelogen und verdreht. Und diejenigen, die behaupten, nichts gewusst zu haben, falten weiterhin ihre Hände – als sei nichts geschehen. Keine Verantwortung vor Gericht, und wo bleibt die Verantwortung vor Gott?

    Was ist mit den Zehn Geboten Gottes? Gelten die nicht auch für seine irdischen Vertreter? Wenn ja – dann wird es höchste Zeit für eine gründliche Gewissenserforschung.

    Was sich hier über Jahrzehnte zugetragen hat, sind keine bedauerlichen Einzelfälle. Es sind Verbrechen. Systematisch, wiederholt, verschwiegen.

    Höchste Kirchenherren, umgeben von Weihrauch, Ehrfurcht und frommem Schweigen – sie haben viel an Respekt verspielt.

    Ihre Heilslehre? Ein Druckmittel. Eine stille Erpressung im Namen des Glaubens. Brav sein, gehorchen, schweigen. Die Hölle als Keule, das Fegefeuer als Dauerandrohung – ein pädagogisches Konzept aus Angst und Gehorsam.

    Und die, die selbst zu Tätern wurden? Sie richteten sich ihre eigene Hölle bequem ein. Eine Hölle für die anderen – für jene, die ihre Übergriffe zu ertragen hatten, schweigend, beschämt, eingeschüchtert.

    Was als Glaube verkauft wurde, war Machtausübung im Talar. Autokratie mit Kreuz. Und wieder einmal musste Gott herhalten – als Vorwand, als Feigenblatt, als stiller Komplize.

    Im „Namen Gottes“ wurden Frauen lebendig verbrannt, Kriege gesegnet, Verbrecher gedeckt. Man berief sich auf das Himmelreich, während man die Hölle auf Erden entfachte.

    Kaum vorstellbar, dass eine höhere Macht solches Wüten abgesegnet haben soll. Oder war der liebe Gott bloß abwesend – oder längst entmachtet von seinen irdischen Stellvertretern?

    Man hat es bei uns Buben, damals in den 60ern, tatsächlich zuwege gebracht, dass wir uns marterten mit dem Gedanken, beim Ausziehen, beim Baden, beim kleinen und großen Geschäft, geschweige denn bei der Selbstbefriedigung nicht mit unserem „Unanständigen“in Kontakt zu kommen. (Unanständig stand für Penis) Als Sünde wurde es uns verkauft, und ich wette darauf, dass dies von denen, die uns das eingeredet hatten, nie als Missgriff empfunden wurde. Ich hatte mir immer in meinen „verbotenen“ Träumen vorzustellen versucht, wie es der Pfarrer wohl anstellen würde, ohne beim Pingeln dieses „schweinische Ding“, wie wir es gelegentlich genannt bekommen baben, in die Hand nehmen zu müssen. Oder muss ein Pfarrer nicht? Das habe ich mir in meiner Naivität vorzustellen versucht. Ist ein Mann Gottes anders? Sie werden lachen, aber an einen solchen Stumpfsinn habe ich dabei gedacht. Selbstbefriedigung war sowieso verboten und musste dem Pfarrer ins Ohr gebeichtet werden. Heute weiß ich, dass dieses Beichten ein einziges Mal im Beichtstuhl kniend dem Herrn hinter dem Gitter ins Ohr zu flüstern, ein einziges Mal zu viel gewesen war.

    Aber das ist eigentlich Pinatz im Vergleich mit jenen Buben und Mädchen, die den Gottesmännern mit weißem steifen Stehkragen die Hosentür zu öffnen hatten. Beispiele der letzten Jahre gibt es zuhauf; Kremsmünster usw. usw. Südtirol ist nicht ausgenommen. Die heile Welt gibt es nirgendwo.

    „Vielleicht ist nichts Entsetzlicher am heutigen Menschen, als dass er sich nicht mehr entsetzt.“ schreibt der Religionssoziologe Horst Herrmann in seinem Buch „Sex und Folter in der Kirche“ (Sex und Folter in der Kirche, 2000 Jahre Folter im Namen Gottes, Horst Herrmann, Bassermann, 2019)

    Die Kirche hat es verwirkt, Heimat zu sein, lange schon. Ein interessantes Interview mit dem ehemaligen Generalvikar im Erzbistum München und Freising und Priester Peter Beer in der ZEIT Nr. 5/2022 gibt Hoffnung auf Menschen, die die Verkündigung Jesus noch ernst nehmen und nicht mehr alles hinzunehmen bereit sind, was die Kirchenführung diktiert: „Wenn die Kirchenführung meint, dass sie Kinderschänder und Täterschützer in ihren Reihen dulden darf, aber jemanden loswerden muss, der ernsthaft ringt, dann kann sie mich gernhaben……“ (Peter Beer im Zeitinterview, ZEIT, 2022, Nr.5, S.58)

    Johann Georg (Hansjörg) Rogger
    Publizist, 2022

  • Gepredigt, verordnet, weggenommen

    Es war ein Nachmittag. Warm war es, und sie saßen in der Küche beim Kaffee. Ich war ein Bub mit zehn Jahren. So wie wir das immer machten, wir radelten durch das Kaffeekränzchen durch, schrien, lachten und gingen den Kaffeetrinkern nicht selten auf die Nerven. An diesem Nachmittag war es etwas anders. Die Tür war zu und ich konnte von draußen hören, dass es um mich ging. „Wir wollten ihn ‚Hansjörg‘ taufen, aber der Pfarrer hat uns das verwehrt.“ Ich stoppte an der Tür und lauschte. In diesem Moment machte ich mir darüber keine Sorgen, wurde ich doch meistens mit dem Namen Hansjörg gerufen. Meistens! Die anderen Namen, Hansl und Hons gingen mir dermaßen auf die Nerven, dass ich laut aufschreien wollte, aber ich traute mich nicht. Dieser Nachmittag hat aber einiges in mir angefacht. Nicht sofort aber stetig und immer inwendig in mir drinnen. Wenn man es nicht so gut mit mir meinte, dann war ich der mit dem falschen Namen. Wenn ich den anderen wohlgesinnt war, dann war ich der mit meinem richtigen Namen.

    An diesem Nachmittag wuchsen langsam meine Zweifel an dem, was uns jungen Buben und Mädchen von der Kanzel heruntergepredigt wurde. Und der Zweifel wuchs zum Zorn heran. In mir selber, ganz tief in mir drinnen, sodass ihn niemand mitbekommen hat. Der Zorn auf jene Kirche, die mir einen Namen verwehrt hat, der mir zugestanden war. Aus Hansjörg wurde Johann Georg, weil es, so die Begründung des Pfarrers, keinen heiligen Hansjörg gibt. Und wie gesagt, man machte daraus nicht selten jene verkorksten Bezeichnungen, die mich ein ganzes Leben lang nicht in Ruhe ließen. Wer bin ich? Wer will ich sein? Auf den Amtspapieren, in den Ausweisen hieß ich Johann Georg, als Hansjörg wollte ich gerufen werden.

    Die Kirche hat mich in eine Identitätskrise getrieben, aus der ich nicht mehr herausgekommen bin. Kling dramatisch, aber es war nun mal so. Und dabei sollte es die Kirche sein, die das Heil verkündet. Davon ging ich immer aus.

    Den Zorn wollte ich oft herausschreien, aber es ging nicht, ich war zu feige, ich traute mich nicht; die Revolutionen habe ich nur in meinem Kopf ausgefochten, mit mir allein. Ich traute mich nie, offen gegen etwas einzutreten. Dies hätte mir voraussichtlich Nachteile einbringen können, so dachte und fühlte ich. Aber inwendig, da ging es immer zur Sache. Endlos die Situationen in denen ich gekocht hatte.  Nie oder selten hatte ich gewagt, den Deckel zu öffnen, aus Opportunismus, aus Schwäche, aus Feigheit, aus Angst – stimmt alles. Es war einfach so. Es ist mühsam,  nach den Gründen zu fragen, mühsam zu fragen, warum ich mich meiner Gedanken schämte.

    Wenn die Institution Kirche es schafft, dass man ein Leben lang der Identität hinterherlaufen muss, dann muss an dieser Institution etwas faul sein. Seit diesem Nachmittag zweifle ich an der Glaubwürdigkeit kirchlicher Heilsversprechen. Und die Zweifel wuchsen mit den aufgedeckten Verbrechen, die die Kirche zu vertuschen suchte.

    Johann Georg alias Hansjörg Rogger, 2021

  • Hölle

    Wenn es die Hölle tatsächlich gibt – jene feurige Drohkulisse, mit der man uns als Kinder das Fürchten lehrte –, dann werden dort wohl jene als erste schmoren, die mit salbungsvollen Worten und frommer Miene Hexen verbrannten, Kinder quälten und schändeten, Ketzer verfolgten und mordeten. Es gibt ein Buch, das Kriminalgeschichte des Christentums heißt – man lese es und staune, oder besser: erschaudere.

    Warum ausgerechnet die Kirche das Heil bringen soll, habe ich nie verstanden. Ich wusste es nicht – und keiner dieser schwarzgewandeten Herren hat es mir je vorgelebt. Ihre glattpolierten Sonntagsreden, die gefalteten Hände, das feierliche Getue – all das erschien mir schon als Kind wie ein hohles Ritual, ein Schauspiel ohne Seele.

    Wie oft bin ich nach endlosen Messen, monoton gemurmelten Rosenkränzen, feierlich dahinziehenden Prozessionen und stockfinsteren Sitzungen im Beichtstuhl in mein Zimmer geflüchtet – die Wut wie eine brodelnde Brühe in mir, dicht unter dem Deckel. Für einen Ausbruch fehlte mir der Mut, wie so oft. Also schwieg ich. Aber in mir tobte es, kochte, drängte – wie heißes Wasser, eingesperrt im Topf, kurz vor dem Überlaufen.

    Hansjörg Rogger