Kategorie: Kunst

  • Planet Drum

    „Am Anfang war die Tat!“ – So ruft Faust, nachdem er das „Wort“ verworfen, den „Sinn“ erwogen und die „Kraft“ durchschritten hat. Goethes Held ringt mit dem Urbeginn – und erkennt schließlich: Nicht Denken, nicht Reden, sondern Handeln ist Ursprung der Welt. Die Tat wird zum ersten Prinzip, zum schöpferischen Akt, nur sie kann Wirklichkeit stiften.

    Als ich Barbara Seebers Planet Drums zum ersten Mal sah – und nun wieder in ihrer jüngsten Performance –, drängten sich mir Goethes Urworte auf. Da kreisen stilisierte Erdkugeln, erfüllt von Worten, Farben und Klängen – als wären sie selbst Metaphern des Schöpfungsbeginns. Nicht zufällig rufen sie Fausts Ringen um das Ursprüngliche in Erinnerung: das Wort, der Sinn, die Kraft – und schließlich die Tat. In Planet Drums scheint all dies zu pulsieren – eine verdichtete Weltidee – divers, friedvoll, bunt und inspirierend.

    Es ist nicht das, was uns die rechten Hitzköpfe und Verschwörer weismachen wollen. Kein Lärm, kein Aufruhr, keine Gewalt – sondern ein Innehalten. Für einen flüchtigen Moment entziehen sich die Planet Drums der Gewalt der Welt, jener Zerstörungskraft, die aus imperialer Gier Tag für Tag neues Elend gebiert.

    Und doch sind sie kein bloßer Trost. Ihre Form ist elementar, fast urbildlich – kugelrund, atmend, offen. Sie vibrieren nicht nur im Klang, sondern im Sinn. In ihnen klingt eine Ahnung von Welt: das Viele im Einen, das Eine im Vielen. Schwingung als Widerstand, Klang als Erinnerung an ein Gleichgewicht, das wir längst verloren haben – und vielleicht wiederfinden könnten.

    Seeber formt sie von Hand aus schamottiertem Ton, langsam getrocknet, in zwei Bränden gehärtet. Im abschließenden Raku-Verfahren, glühend aus dem Ofen geholt und in organischem Material reduziert, entstehen jene markanten schwarz-bronzierten Oberflächen: ein Spiel aus Glanz, Schatten und Zufall. Jede Trommel ein Planet.

    Inspiriert von der afrikanischen Udu und der indischen Ghatam, sind die Planet Drums Einzelstücke. Ihre Form: geschlossen und offen zugleich. Zwei Öffnungen erzeugen zwei Basstöne, dazwischen ein schimmerndes Spektrum vibrierender Obertöne – warm, hypnotisch, haptisch begehrenswert. Geht man an Ihnen vorbei, möchte man sie angreifen, die Rundung streichend fühlen.

    Seeber geht über das Klangobjekt hinaus. In ihren literarischen Planet Drums fügt sie Sprache hinzu: Zoderer, Oberhollenzer, N.C. Kaser. Die Trommel wird zum Träger von Bedeutung, der Klang zum Resonanzraum des Gedankens. Wort und Ton, Literatur und Rhythmus treten in einen leisen, vibrierenden Dialog. „Wenn die Planet Drum in Schwingung versetzt wird, werden auch die Botschaften ins Schwingen gebracht und verbreitet.“ Zoderers „Meine Nacht blutet nicht mehr, ich habe ihre Wunde geschlossen, mit meinen Lippen“ Ein poetisches Fragment, berührende Momentaufnahme vor allem in diesen Zeiten, wo mörderische Gewalt viele Nächte bluten lässt.

    Goethes Faust ringt mit dem Anfang: „Im Anfang war das Wort“ – doch er streicht es, tastet sich weiter vor – zum Sinn, zur Kraft – bis zur Tat. Genau diesen Übergang scheint Barbara Seeber zu vollziehen: Ihre Kunst ist nicht Behauptung, sondern Handlung, Verkörperung, klanglich gewordene Weltauffassung – eine poetisch friedvolle, auf Dialog fokussiert. Sie setzt das Wort, den Klang und die Schwingung an den Anfang allen Seins. Denkt man an den Urknall, dann mag Barbara Seeber recht haben. Und doch wieder nicht, wenn man der physikalischen Gesetzmäßigkeit folgt, dass Klänge, Geräusche und auch Worte nicht aus dem Nichts entstehen können.

    Hansjörg Mutschlechner hat die Musik zum Film komponiert, der anlässlich der Präsentation gezeigt wurde: „Von jeher war der Klang eine Brücke zum Universum, der es ermöglicht, Energie und Schwingungen zu erkennen und uns mit ihnen zu verbinden.“ Sagt Hansjörg Mutschlechner.

    Und die Mantra Planets vermitteln eine Ahnung davon, was gut ist auf unserem Planeten: „Kein einziger Mensch soll verloren gehen.“

    Hansjörg Roggers Gedanken zu den Planet Drums und zur Performance von der Künstlerin Barbara Seeber im Schloss Bruneck

  • Stille – Silence

    Die Ausstellung im Rudolf-Stolz-Museum in Sexten öffnet den Blick auf eine der leisen, doch entscheidenden Gegensätzlichkeiten des Daseins: die Spannung zwischen Stille und Lautheit. Dieses Gegensatzpaar reiht sich ein in die großen Polaritäten des Menschseins – Ordnung und Chaos, Körper und Geist, Gut und Böse, Freiheit und Sicherheit. Stille und Klang markieren dabei keine bloßen Gegensätze, sondern Pole eines schwingenden Kontinuums, das unser Leben durchzieht. In ihrer Reibung entfaltet sich Erfahrung: Die Stille gewinnt Bedeutung erst im Widerhall des Lauten, das Laute erhält Tiefe erst im Hintergrund der Stille.

    So nähere ich mich der Ausstellung, geleitet von der Frage, was Stille in einer Welt bedeutet, die sich immer mehr ins Laute, ins Sichtbare, ins Mitteilbare drängt. Unwillkürlich tritt Rainer Maria Rilke vor mein inneres Ohr – jener Dichter, der die Stille nicht als bloße Leere verstand, sondern als Raum. Ein Raum des Werdens, der Tiefe, der Gegenwart des Unaussprechlichen.

    In seinem Gedicht „Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort“ formuliert Rilke eine radikale Skepsis gegenüber einer Sprache, die alles benennt, fixiert, erklärt – und dabei den Zauber der Dinge raubt. Die Sprache, die zu viel weiß, macht die Welt stumm.

    „Kein Berg ist ihnen mehr wunderbar.“

    So wird die Stille nicht nur zum Gegenpol des Lauten, sondern zum Widerstand gegen das Zuviel an Gewissheit – ein poetischer Schutzraum für das, was sich nicht sagen lässt, aber dennoch da ist.

    In diesem Sinne fordert Stille in der Kunst, das Übermaß an Gewissheiten zu streichen. Sie verlangt Zurückhaltung, damit der stille Zauber der Dinge – des Waldes, der Berge, der Menschen – nicht dem Lauten geopfert wird.

    Die Bilder in dieser Ausstellung, sei es in der Malerei oder der Fotografie, sind im Rilkeschen Sinne mit wenig Gewissheiten ausgestattet. Sie drängen keine Erklärungen auf, sondern bergen – vielleicht – jenes Lied, das noch ungesungen in den Dingen ruht.

    Joseph von Eichendorff schreibt:

    „Schläft ein Lied in allen Dingen, die da träumen fort und fort“

    Ein poetischer Hinweis darauf, dass der Zugang zu den Geheimnissen der Welt nicht in der bloßen Betrachtung liegt, sondern im Hören, Lauschen, Ahnen.

    Nichts schreit, nichts drängt sich auf. Und doch: Unter der glatten Oberfläche von Eduard Angelis Ölbild „Ruhige See“ (2007) pulsiert eine Tiefe, die keine dramatischen Naturgewalten braucht, um spürbar zu werden. In Angelis „Die letzte Glut“ (2014) verschwindet das Licht so leise, dass es mehr im Gefühl als im Bild weiterleuchtet.

    Auch Heinz Innerhofers Fotografien – das „Mare Adriatico“ (2023) und die Lärchen im Villgratental (2024) – setzen stillschweigend einen Kontrapunkt zu den lauten, überfüllten Bilderwelten der sozialen Netzwerke.

    Innerhofers Wald wirkt stoisch, beinahe abstrakt, Angelis Meer bleibt ruhend im kaltgrauen, düsteren Licht . Sie zwingen uns, anders zu sehen – ohne Eile, ohne das Bedürfnis nach Deutung.

    Claude Monet, um einen alten Impressionisten zu zitieren, interessierte sich nicht für die genaue Darstellung von Objekten, sondern für das Wechselspiel zwischen Wahrnehmung und Moment. Für ihn war Sehen ein lebendiger Prozess, kein Erfassen von Fakten. Was zählt, ist nicht die feste Form der Dinge, sondern wie sie sich im Licht verändern – und wie dieser Wandel das Sehen selbst verändert.

    „Donata Wenders schenkt ihrer Figur Zeit – „Zeit zum Nachdenken“. Doch was wir sehen, ist kaum mehr als eine Ahnung eines Menschen – still sitzend, in sich gekehrt. Die Gestalt bleibt vage, als hätte sie sich von der Deutlichkeit des Sichtbaren zurückgezogen. Ist es Versunkenheit? Einsamkeit? Oder einfach der Wunsch, für einen Moment nur bei sich zu sein, unbehelligt vom Blick der Welt?“

    Im ersten Stock, noch bevor der Besucher in die Bilderwelten eintauchen kann, stellt der Künstler Walter Moroder seine Skulpturen „Dança“ (2022), „Son tlo“ (2024), „Arleve“ (2024) und „Ciol“ (2025) aus. Diese Skulpturen begegnen uns wie stille Erscheinungen. Sie stehen im Raum, und doch scheint es, als wären sie mehr im Inneren als im Außen verankert. Nichts an ihnen schreit nach Aufmerksamkeit. Keine Pose, kein Auftrumpfen, keine Geste, die sich in den Vordergrund drängt. Nur die wachen Augen, unverschnörkelt, aufgeräumt, kontemplativ. Moroder formt Figuren, die von ihrer eigenen Zurückgenommenheit leben – Körper, die nicht darstellen wollen, sondern anwesend sind. Sie tragen ihre Stille in sich, als wäre sie ihre ureigene Substanz. In einer Welt der grellen Bilder, der lauten Oberflächen, wirken sie wie Gegenstimmen: leise, aber von einer Kraft, die aus der Tiefe kommt.“

    Die Stille kann Schutzraum sein, in dem das Unsagbare bewahrt wird – ein Raum der inneren Wandlung. Doch sie kann auch zum Gefängnis werden, das isoliert und vereinsamt. Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich diese Ausstellung im Rudolf Stolz Museum in Sexten. Die Werke laden ein, Stille nicht als Gegensatz zum Lauten zu verstehen, sondern als eine eigene Sprache: eine Sprache, die sich manchmal als zarte Ahnung offenbart, manchmal als drückendes Schweigen. Sie fragt uns, wie viel Raum wir in unserem Leben dem Unausgesprochenen geben. Und ob wir bereit sind, zu hören, was nur in der Stille zu uns spricht.

    Es gibt Menschen, für die Stille kein selbstgewählter Rückzugsort ist, sondern ein Gefängnis. Die Fotoreihe von Brent Stirton zeigt eindrücklich das Leben von Betroffenen des Chronischen Fatigue-Syndroms – Menschen, die im eigenen Körper eingeschlossen sind, als hätte sich die Stille wie eine unsichtbare Wand um sie gelegt. Ihre Stille ist kein Raum der Sammlung, sondern der Ohnmacht. Die Bilder erzählen von einem Dasein, das nicht laut werden kann und darf.

    Lois Anvidalfarei zeigt am Aufgang zur Ausstellung in seiner Skulptur „In sich“ einen liegenden Mann – zusammengerollt – so als wolle er sich der Welt entziehen. Ist es Angst, Verzweiflung, Hilflosigkeit oder ist es einfach nur der Rückzug aus der Welt?

    Anvidalfareis Skulptur hält uns einen Spiegel vor. Ebenso tun dies Thaddäus Salchers „Stimme des Herzens“ und Walter Nagls „Sitzende mit aufgestütztem Kopf“. Sie zeigen uns nicht die Welt, sondern unsere eigene Reaktion auf sie. „Du siehst aus, wie ich mich fühle“* Ich spüre meine Gefühle, meine Fragen, meine Ohnmacht, meine Gegenwart und meine Vergangenheit, meine Ängste und meine Verzweiflung. Im Spiegelbild der Kunst beginne ich, die Welt und mich selbst zu begreifen.

    Die akkurat bis ins Detail durchkomponierte Ausstellung im Rudolf Stolz Museum wird kuratiert von Hermann Rogger, Johannes Watschinger, Karl Mayr und ist bis zum 5.10.25 im Rudolf Stolz Museum Sexten zu besichtigen. Prädikat: Besonders Sehenswert

    *“Die Zeit“, in der Rubrik „Entdecken“

    Gedanken von Hansjörg Rogger zur Ausstellung „Stille-Silence“ im Rudolf Stolz Museum Sexten vom 29.6.25 bis 5.10.25

    „In sich“ von Lois Anvidalfarei, Bronze, 2014

    Heinz Innerhofer, Lärchen im Villgratental, 2023, Fotodruck auf Dibond

    Walter Moroder, Son tlo, 2024, Zirbelkiefer, Glas, Acryl

  • Der Besuch

    Alberta Pfeifhofer, Treitling 5

    Heißer Tee und Faschingskrapfen. Lange ist es her, dass ich schon mal hier war. Der Ofen ist es wohl, der mich zurück erinnern lässt. Die vielen Bilder im Gang gab es damals noch nicht – denk ich mal. Aber die Küche ist immer noch gerade aus, links daneben die Stube – mit dem alten weißen Ofen. 

    Ich blicke auf den Stapel del gemalten Bilder. Hinten steht der Titel drauf, nicht immer. Den Keilrahmen baut sie oft selbst. Viele schöne Bilder stehen da, und ich beginne meine Favoriten zu ordnen. Ich gehe nahe ran, nimm sie in die Hand. Mit Farbe dick aufgetragen die einen, die andern weich mit pastellenen Farben.

    Am Vorbeigehen hinauf in die Stube sehe ich Landschaften, viele Farben, viele Blumen. Und es blitzen die Sonnenblumen auf, auch der Mohn im Feld ist zu sehen. Starkes Rot, lichtdurchflutet. Parallelen zu Van Goghs Sonnenblumen, zu der impressionistischen Malerei von Monet.

    Der Farbton des Chors ist ein anderer als der der vielen anderen Bilder. Düster gehalten, die Stimmung melancholisch. Ich trete etwas von dem Bild zurück, zuerst halte ich es etwas vor mich hin. Und dann bleibe ich stehn und schaue es an. Es erinnert mich an früher und dann auch wieder an nicht so lang vergangene Zeiten. Alle blicken auf die in rot gekleidete blonde Frau – der letzte rechts draußen geknickt, etwas verschämt. Bilder sind nicht nur schön – Geschichten tauchen auf, Gerüche Töne und Lichter mischen sich dazwischen. Und ich sehe mich, mitten drin. 

    Ich schweife ab, es stehen so viele Bilder da. Ich darf mir eines aussuchen, hat sie gesagt. Und ich stelle es auf die Seite, vor die Tür zum Balkon. Während Alberta weitere Bilder herholt, sitzt Karl vor dem Ofen und schaut mir zu, wie ich das eine um das andere Bild nehme, vor mich hinhalte, und wieder in den Stapel zurücklehne. 

    Je mehr sie bringt, umso schwerer wird die Auswahl. Ein kleinformatiges pastellfarbenes im großen Rahmen ist auch dabei. Landschaft mit einem Zwei- , Dreihäuserdörfchen. Pastelltöne, leise, verschlafen. Schön! Ich stell es zur engeren Auswahl neben das Bild mit dem Chor.

    Es ist die Lust am Malen, sagt sie. Oft entstehe das Bild aus der momentanen Situation heraus. Blumen, Landschaften, Farben, Menschen, auch Tiere sind mit dabei. Die Farben mischt sie selbst, in vielen Kursen hat sie das gelernt. Alberta Pfeifhofer, Malerin, Treitling 5. Pinsel, Farbe, Spachtel, Holztafel, Leinwand, Aquarellpapier, PanArt – das sind ihre Werkzeuge. Gedanken in Farbe getaucht – das stand vor einiger Zeit in einer Rezension zu einer ihrer Ausstellungen. Und solche gab es viele.

    Drei Ansichten – ein Frauenakt. Es ist das größte der drei Bilder, die nun alle drei vor der Balkontüre stehen. Eines davon darf ich mit nach Hause nehmen. Das Bild mit dem Chor ist es dann – die Wahl kommt schnell. Etwas später wäre es anders ausgegangen. Erinnerung an meine Schulzeit, Erinnerung an meine jungen Jahre ergebnisloser Bemühungen, mit der Musik etwas beginnen zu können. 

    Bilder schaffen es, einen von sich selber wegzuziehen, oder einen in eine Geschichte hineinzuziehen – in eine gute oder in eine schlechte, in eine ganz weit zurückliegende oder in eine ganz nahe. Stehe ich vor dem pastellfarbenen Bild mit der Dorfidylle vorne rechts, bin ich in einer Geschichte, die mich wegzuziehen vermag – in meine Leidenschaft impressionistischer Fotografie hinein. Das Bild mit dem Chor zieht mich in die Vergangenheit zurück und der Akt in das verschmitzte Schweigen meines Vaters auf die verschmähenden Blicke meiner Mama.

    Hansjörg Rogger

  • Malerei der Stille – eine Impression zur blauen Illusion im blauen Blatt und in der blauen Erde

    „Und plötzlich fällt ein Windstoß in den Wald, und es braust auf: ‚Bchuuuuuu!‘ Da hab ich gemerkt, dass sich alles verändert, dass nichts gleich bleibt.“ Sagt Bockelmann. „Ein Erlebnis – der Sonnenuntergang – damals, als Vater uns Kinder auf den Balkon rief. Wenn man das von früh auf als Bub und Mädchen nicht lernt, sieht und hört man das später nicht mehr, nie wieder.“ Sagt Manfred Bockelmann. Und weiter: „Wir müssen alles lernen, sogar die Liebe müssen wir lernen.“ 

    Bilder mit meditativem Charakter sind es: „……die ich als Therapie für mich selber gemalt habe…“ Das war die Zeit der großformatigen Ölbilder. „…..Man darf nicht für andere malen, man muss sich zuallererst selber überzeugen. Wenn das gelingt, stellt man fest, dass man damit auch andere überzeugt.“ (Bockelmann) In dem abstrakten gegenstandslosen Bild, so sagt es Bockelmann, kann nichts benannt werden. Da gibt es nichts, was wir aus unserer konkreten Welt kennen. Kein Baum, kein Berg, kein Haus. „Es ist eine weite leere Landschaft. Vielleicht der Horizont und seine grenzenlose Weite.“ Sagt Bockelmann. „Bitte hör nicht auf, diese Bilder zu malen, because we need it.“ sagte ihm ein New Yorker in einer Ausstellung 1981.

    „Ich habe meinem Vater das Versprechen geben müssen, nie in meinem Leben mit einem Gegenstand auf einen Menschen zu zielen – es könnte irgendwann ein Gewehr sein.“ Sagt Manfred Bockelmann. Das war einer jener Momente in seiner Biografie, die ihn aufmerksam gemacht haben – auf das Leben und auf die Sanftheit. Und nicht nur.

    Und ich – oben auf der Empore – beginne zu assoziieren: „Seht ihr den Mond dort stehen, er ist nur halb zu sehen, und ist doch rund und schön……“ Matthias Claudius. Und Hugo Zuckermann huschte auch noch schnell in meine Gedanken hinein: „..uns schreckt kein spielender Schatten, uns trübt kein nebelnder Rauch. Wir trinken von farbensatten Wiesen den kühlen Hauch…..“ 

    Bei Alard von Kittlitz fand ich folgende Beschreibung: „Es sind Bilder, in die wir als Betrachter hineinlegen können, was wir wollen.“ Landschaft, der blaue Blick in den Horizont hinein, das Meer. „Diese Bilder stellen das aber eben nicht dar, und insofern zeigen sie uns höchstens uns selbst und was in unseren Köpfen los ist und fragen vielleicht auch vorsichtig, ob wir es nicht einmal stumm mit ihnen versuchen wollen: ohne die ewigen Störgeräusche des in Sprache gegossenen Denkens.“ (Alard von Kittlitz im Zeitmagazin Nr.40) Lass im Betrachten deine Welt entstehen. Also stehe ich vor den Bildern, schiebe das Denken etwas zur Seite und erschaffe meine eigene Welt. Kurt Tucholsky mischt sich aber dann doch noch dazwischen mit seinem „Sündhaft blauen Tag. Die Luft ist klar und kalt und windig, weiß Gott: ein Vormittag, so find ich, wie man ihn oft erleben mag.“

    „Es ist die Erinnerung an das, was wichtig ist.“ Sagt Bockelmann. „Wir kommen alle aus der Landschaft und verschwinden wieder in ihr. Am Ende gibt es nur mehr Staub.“ Und das, was von uns übrig bleibt – was wir selber geschaffen haben. Der eine so, der andere anders. „Ich male.“ 

    „Die Blätter fallen, fallen wie von weit, als welkten in den Himmeln ferne Gärten…..“ Anfangsverse des Herbstgedichtes von Rilke. Anders als Rilke beschreibt sie Bockelmann nicht, er zeichnet und malt sie. In vielen Varianten. Keine Variante ist der anderen gleich. „Am Baum ist das Blatt zweidimensional, aber wenn es runterfällt, dann krümmt und rollt es sich ein. So wie die Hand eines alten Mannes.“

    „Es ist so, als erleideten sie den Herzschlag und sterben ab.“ Der Abschied von der Welt. Sie haben Ihre Schuldigkeit getan, verfärben sich, fallen, bäumen sich auf, krümmen und winden sich. Am Ende verfallen sie zu Staub. „Wir alle fallen. Diese Hand da fällt. Und sieh dir andre an: es ist in allen.“ Zwei Verszeilen Rilkes. 

    Das gefallene Blatt ist am Ende seiner Tage. Bockelmann malt es blau. „Die blaue Farbe ist eine mystische Farbe.“ Sagt Bockelmann. In der Natur ist sie vor allem dort zu sehen, wo Lichtbrechung ihr die blaue Illusion verleiht. In der Romantik suchte Eichendorff nach der blauen Blume: „…….Ich suche und finde sie nie, mir träumt, dass in der Blume mein gutes Glück mir blüh…….“

    „Mit der Farbe blau will ich einen Kontrast setzen und einen Hinweis geben, dass das Leben weitergeht. Und das blaue Blatt erweckt das Interesse, das es sonst so nicht geben würde.“ Am Ende wird das blaue Blatt auf eine Weltreise geschickt. Von der Werkstatt Bockelmanns in Kärnten 19mal in die Welt und dann wieder zurück: Kiew, Lemberg, New York, Bologna, Vatnajökull (Island), Herne in Nordrhein Westfalen, Namibia, Tunesien, Wien, Toblach, Latschach in Kärnten – und noch andere mehr. Ich bin gespannt, was sich Kinder in der Welt zum blauen Blatt haben einfallen lassen. Interessant weltoffen, was sich das Team des Kuratoriums Rudolf Stolz Museum ausgedacht hat. 

    Johann Georg (Hansjörg) Rogger. Manfred Bockelmann: 24.6.23 und 3.9.23. Johann.rogger@me.com Korrekturgelesen: ChatGPT

  • Mein leben – Meine Kunst – Seiwald

    Die Kunst fasziniert, und nicht nur. Die Suche nach dem Stückchen Wahrheit, nach der Vision einer Welt, dessen Erinnerungen verloren zu gehen scheinen. Wild verwoben mit dem Forschergeist – erdverbunden. Und die Suche nach dem, was die Welt im Innersten zusammenhält. „Schau alle Wirkenskraft und Samen und tu nicht mehr in Worten kramen.“ Goethe fällt mir ein, während ich zuhöre und staune.

    Ich giere nach dem Entdecken dessen, was ich mir vorgestellt hatte, dass es so sein könnte. Die Werkstatt – ein sonnengewärmtes Paradies, der Traubenlaubengang – hinauf in den Garten. Der große Tisch in der Mitte, die vielen Stellagen und Nischen an der Seite. Buddha steht im Garten neben Sonnenblumen, Rebstöcken und Farngräsern. Die Fassade mit den vielen schräg montierten Fenstern – ungewöhnlich. Ein sonnendurchflutetes Haus, von unten bis hinauf zum First.

    Die Schatullen mit Pinseln, Sprühdosen, ein altes Telefon, Schraubstock, Klebebänder, Stifte, Bilder, Kartone über Kartone, Leinwände, Gitarre und eine Trommel – sie erinnern mich an das farbige Hören und die Visualisierung von Tönen in Farbe. Und am Boden die schwarze Pflanzenerde. 

    Positive, weltzugewandte Visionen einer Seele. Nicht intendiert, als er damit an der Leinwand begann. „Ich weiß nicht, was da draus wird, wenn ich male.“ sagt er. Da entstehen plötzlich Bäume, oder auch nicht, filigrane Muster, Farbschichten und Formen. Farben und Formen verbinden sich, lassen Deutungen vermuten, verwischen diese wieder und werden belanglos in ihrer Isolation und bedeutungsstark in ihrer Synergie. Interpretationen wären gekünstelt und aufgezwungen. Sie sind offen. Meine Gedanken aber entspringen meiner Welt, die mit der seinen kaum oder gar nicht vergleichbar sind. Sie interpretieren aus der eigenen Geschichte heraus, motiviert durch gute und schlechte Erfahrungen, durch die spitzen und weniger spitzen Punkte im Leben. Wie Keramikpits aufgedröselt auf einer Kette. Jedes Pit eine Geschichte, wiedererwacht und hineingetragen ins Bild. Ein Zurückerinnern, ein Gewahrwerden, ein Vergleichen, ein freudiges und weniger freudiges Nachdenken über sich selbst und die Welt. Es ist nicht meine Welt dort auf dem Bild. Es ist die seine. Wenn ich dabei verweile – schaue und nicht nur sehe – dann wird es ein bisschen auch die meine sein. „Ich male mir meine Welt“ sagte der deutsche Maler Gerhard Richter. Die Abstraktion lässt vieles offen. Wenn die Nichtgegenständlichkeit mit den Farben und Formen gefällt oder nicht gefällt, dann dominiert die Ästhetik, meine Ästhetik, mein Interesse an den Formen und Farben und mein Interesse hinter alledem. Ich spinne meine Wünsche, meine Ängste und Sorgen wie in einer Spirale nach oben, verweile, ziehe Vergleiche und finde mich in einer Katharsis wieder. 

    „Ich Male und arbeite nicht aus depressiven Verstimmungen heraus“, sagte er, und ich dachte an den Sternenstaub, Acryl auf Leinwand, Louis Seiwald 2022. Und dann „die Seele“ ein Seiwald Acryl 2015. Leinwand 120×120. 

    Ich stehe vor der „Seele“, denke nach. Und ich male mir meine eigene Seele – im Kopf – genährt durch das, was ich selber bin. Unten die feinen Fäden, Nervenstränge? Vielleicht? Herzschlag unserer Träume, Sehnsüchte, Vorlieben, Leidenschaften und Ängste. Konnex mit dem, was tief in uns drinnen sein mag und uns und unseren Weg entscheidend mitprägen wird. „Wenn Natur dich unterweist, dann geht die Seelenkraft dir auf.“, liest man bei Goethe. „Auf der untersten Sprosse der Leiter“ so Albert Camus „gewinnt der Himmel seinen ungeschmälerten Sinn, er ist eine köstliche Gnade. Sommernächte, unerforschte Geheimnisse, in denen Sterne aufsprühten.“ Und schon bin ich beim „Sternenstaub“. 

    „Glückselig also ist ein Leben, welches mit seiner Natur in Einklang steht.“ Seneca. Wenn man Seiwald zuhört, dann spürt man den Wunsch und das Streben nach einem solchen Einklang. Wenn man einen Blick in seine Werkstatt tut, dann drängen sich ebensolche Fragen auf. Da stehen nicht die Leitsätze an den Wänden geschrieben, sie liegen auf der Werkbank und am Boden. Sie stehen an den Staffeleien, hängen an den Wänden und liegen schön geordnet in den Schubläden. Und gleich beim Eintreten begegnet man den Planet Drums. Öfters schon in Ausstellungen entdeckt. Wenn Texte rund um den Planet kreisen, dann vielleicht als Performance gedacht, oder auch gedacht als der Planet, der ein Ordnungsriese unserer wertvollen Gedanken sein möchte. Ein schöner Platz dafür in der Kunstwerkstatt, neben Tontellern und Tontassen. Und neben dem Bild der Künstlerin Barbara. Auf einem dieser Drums, Zoderers Gedicht eingraviert: „Meine Nacht blutet nicht mehr………“ 

    Johann Georg (Hansjörg) Rogger

  • Das Mädchen und die weiße Zaunwinde (das Gewinnerbild im Rahmen des Wettbewerbes „Die Frau in der Kunst“)

    Es ist eng zwischen dem satten Grün. Weidenröschen links, Jungfernrebe rechts und dazwischen grünes Gras, Sonne und Schattenbilder. Es ist kühl. Eibe, Fächerahorn, Flieder und das tiefe kühle Grün des Wiesengrases. Es ist leise. Rascheln – zuerst links, dann rechts. Mehr tut sich nicht – nur Stille. In der Luft feine Flügelschläge – ein paar Bienen, Ameisen am Boden, Schmetterlinge in der Luft. Luftbriese sanft auf der Haut. Der Morgenduft ist lau. Es riecht nach Yasmin und taunassem Gras. Die Sonne saugt aus der nassen Erde. Und die weiße Zaunwinde vor mir, feucht und schön. Ich – gedankenverloren mittendrin. 

    Die Felder lagen still und schwer,
    Der Sommer brachte Segen.
    Wir gingen kreuz und gingen quer
    Und kamen von den Wegen.
    Es stand ein roter Mohn im Korn
    Und eine weiße Winde,
    Es hing ein kleines Nest im Dorn
    Aus Halmen und aus Rinden. (Gustav Falke)

    What a wonderful world. Louis Armstrong klingt mir in den Ohren. ich sehe grüne Bäume, rote Rosen, sie blühen für dich und mich. Und ich denke, was für eine wunderbare Welt. Ich rieche an der weißen Winde. Die Stille ist schön, majestätisch unaufdringlich. Schlag noch einmal den Bogen um mich du grünes Zelt. Da draußen stets betrogen saust die geschäft‘ge Welt – Eichendorff war es, der diese Verszeilen niedergeschrieben hat. Und jetzt wartet die Mama daheim. 

    Johann Georg (Hansjörg) Rogger