Kategorie: Musik

  • Waydown

    Für die ummauerte Sicherheit von Waydown geben die Arbeiter ihre letzten Kräfte. „Why we build the Wall?“, heißt das Lied. Die Frage, die die Arbeiter aufwerfen, beantworten sie sehr energisch und unmissverständlich: „We build the wall to keep us free.“ „Wir bauen die Mauer, damit wir frei sein können.“

    Die Mauer verspricht Sicherheit, schützt sie doch vor den anderen, vor denen, die scheinbar nicht dazu gehören. „Working on the wall with all your might“, Eurydikes fatales Bündnis mit dem Teufel: „Ich habe getan, was ich tun musste“ sagt Eurydike. Und am Ende wird sie diesen Schritt bereuen. Aber zu spät. Eurydike hat der Verführung nicht standgehalten. Die Armut treibt sie ins Verderben.

    Ein herausforderndes Spiel mit einer suggestiv wirkenden Musik auf einer aufwendig gestalteten Bühne. Die Musikklasse der 5am im Team mit 60 Leuten hat ein engagiertes vom Anfang bis zum Ende durchchoreographiertes Broadway Stück auf die Bühne gebracht. Die Choreographie ist nicht in die Geschichte hineingesetzt – sie ist die Geschichte selbst. Keine einfache zudem, mit der man sich im Sessel genüsslich berieseln lassen kann. Angelehnt an den Mythos von Orpheus und Eurydike, werden Probleme unserer Zeit, verpackt in Folk- Blues- und Jazzmusik, dem Zuschauer einiges abverlangen. Die Musik – eine Gewaltanstrengung für das Team. Auch sie ist die Geschichte selbst. Sie führt hinauf in die Sphären der Freiheit und Liebe und hinunter in die düstere Welt des Abgrunds, der Vernichtung, des Machtmissbrauchs, der Blender und Verschwörer.

    Orpheus – Künstler, Poet und Musiker – will mit seiner Musik auch jene gewinnen, die der Dunkelheit verfallen sind. Er singt und spielt und betört die Menschen, auch Eurydike. Wer möchte nicht wie Orpheus singen, dem es einst gelang, selbst Bäume zum Weinen zu bringen mit seinem Gesang: „Alle Bäume werden mitsingen und ihre Äste werden sich herunterneigen und ihre Früchte um meine Füße legen…“ Eurydike kann es kaum erwarten – ihre Liebe erwacht: „Liebster Orpheus sag mir, wann es soweit ist.“ „Wenn ich mein Lied singe, wird es soweit sein. When I sing my song, all the riversˋll sing along…“ entgegnet Orpheus. Eine tiefe Liebe, doch der Hunger nagt und treibt sie ins Elend. Um der Not zu entweichen, hängt sich Eurydike an jeden Strohhalm, an verlockende Versprechungen.

    Eurydike, getrieben von Not und Entbehrung, geht trotz der Liebe zu Orpheus, dorhin, wo Dunkelheit herrscht – Kälte, Gewalt und Unfreiheit. Verführt, gelockt, missbraucht. „Eurydike!“ ruft Orpheus. „Wo ist sie?“ Hermes: „Bruder, was kümmert’s dich, du wirst eine andere Muse finden.“ Aber Orpheus will zu Eurydike, ganz unbedingt. „Warte auf mich, ich komme, ich komme mit dir, warte, warte, warte.“

    Ein Sturm zieht auf, und Orpheus schreibt an seinem Lied. „Ok, beende das Lied“ sagt Eurydike, „we need food, finish it quick. The wind is changin. There’s a storm coming.“ und Hermes, der Erzähler: „Poor Boy, working on a Song.“ Kunst und Liebe sind scheinbar schwache Gegner im Kampf gegen Niedertracht und Hass. Orpheus verliert. Das bittere Ende naht. Eurydikes Zuruf: „Bring mich heim!“ scheitert.

    Bedrückend eindrucksvoll gespielt ist die Szene in der Orpheus in der Unterwelt geschlagen und getreten wird. Beklemmend nah choreographiert. Es geschieht dies alles hier und jetzt – in der Ukraine, in Syrien – nur zwei Beispiele von vielen. Orpheus, der Hoffnungsträger, hat hier nichts zu suchen. Die andre Welt will Vernichtung, Repression, Züchtigung, Verlogenheit, Macht und Unterwerfung, Befehle und erzwungene Loyalität, sonst nichts. Veränderer sind unerwünscht und gefährlich. Sie bringen das System ins Wanken. Waydown ist von hier aus nur einige tausend Kilometer entfernt. Dort wo die Mächtigen tun und lassen, was sie wollen und wozu sie grad eben Lust haben.

    Choreographie und Inszenierung: Karin Mairhofer, Alex Messner / Musikalische Leitung: Ruth Burchia, Simon Mittermair / Audioregie: Peter Paul Hofmann / Lichtregie: Elch / Als Vorlage: „Hadestown“ von Anaïs Mitchell

    Hansjörg Rogger, Februar 2024, Musical des SOWI GymnasiumsFoto:HjR

  • ….und während ich in Gedanken versunken bin…….

    gehe ich den Weg hinauf. Kühl ist es. Auf halbem Weg eine Kurznachricht von CNN: „Russian opposition leader Alexey Navalny is facing an even longer stint in jail after being sentenced to 19 years in prison on extremism charges.“ Ich bleibe stehn, der Zorn drückt sich in meine Brust hinein. Wut vermischt sich mit Traurigkeit.

    „Wir haben keine andre Zeit als diese“, schrieb Mascha Kaléko. Ich habe keine andre Zeit als diese. Deshalb muss ich weitergehen – dorthin wo es mich hintreibt – trotz des Leids nicht weit von hier entfernt. Ich bin ein Kind der 50er Jahre, voller unhinterfragter Hoffnung. Und nun? „Wir kamen еinst mit Kindesgläubigkeit in ein vom Sturm verwüstetes Jahrhundert. Einst hofften wir und nun schweigt’s in uns verwundert……“ Mascha Kaléko. 

    Das Regime in Russland malträtiert alles, was ihm in die Quere kommt und frisst sich an der Ukraine satt. Gedanken hinauf zum Schloss. Hier darf man frei gehen, frei denken, frei fühlen. Nur ein paar tausend Kilometer entfernt, stirbt man dafür.

    Ich gehe über die Brücke. Alles ist fest, geordnet, schön, unaufdringlich und friedlich. Ich wische weg, was mich zernagt, zornig und nicht selten ungerecht macht. Ich bin gespannt auf das alte Gemäuer, auf „because we believe”, auf Frederic Chopins “nocturne”, auf Lucio Dalla, auf Ennio Morricones “you’re still you”. Vielleicht auch wieder “I think to myself what a wonderful world”. Zögerliche Freude, während man zur gleichen Zeit um das Leben von Maria Kolesnikowa bangt. In Belarus vom faschistischen Terrordespoten weggesperrt. In vielen Teilen unserer Welt in Syrien, Ukraine usw. usw. gibt es diese wunderbare Welt nicht mehr. Ist es gut, sich eine wunderbare Welt herzuwünschen? So wie sie jetzt unter meinen Füßen hält und immer wieder hält? Ja, sag ich mir! 

    Schloss Welsperg – gebaut von Männern, wie sie Bert Brecht in den Fragen eines lesenden Arbeiters beschrieben hat. Beauftragt von adelsmächtigen Geldgebern. Die Stube – uralter Boden, dicke Mauern, tausende Male betreten und berührt, und ich sitze da, lausche der Meditation von Jules Massenet und dann Errol Gardners “Misty. Die Narben im Boden, der Geruch, die schwere Tür mit den schweren Beschlägen und „you‘ll never walk alone „ von Rogers und Hammerstein, „Merci“ von Jürgens, „Den unmöglichen Traum träumen“ von Leigh und Darion. Die Geige, das Klavier – die Resonanz im dicken Gemäuer. Neues trifft auf Altes – ein Widerspruch? Nein!

    „At the end of a storm, There’s a golden sky, And the sweet silver song of a lark.“ Tausende hören diese Lerche nie mehr. Ich sitze auf den jahrhundertealten zerfurchten Holzdielen. Ich denke an den goldenen Horizont, die liebevoll gepflegten alten Stuben, die Seele, die dieses Schloss umgibt und an die Lieder von Halma. 

    „Sognamo un mondo senza più violenza
    Un mondo di giustizia e di speranza
    Ognuno dia la mano al suo vicino
    Simbolo di pace e di fraternità…” Trio Halma singt und spielt es in den Saal hinein – kraftvoll, engagiert, behutsam. Chopin, Bocelli, Lucio Dalla, Andersson – das Publikum reagiert kraftvoll zurück und spaziert emotional aufgeladen und friedvoll nach Hause – über die Brücke hinunter auf den Schlossweg. Die Kuratorin Brunhilde Rossi weiß, wovon sie spricht, sie sieht und spürt es in unseren Augen, an unserer Ruhe, an unserer unaufgeregten Zufriedenheit.

    „Lead us to a place, Guide us with your grace, To a place where we’ll be safe – Führe uns an einen Ort, führe uns mit deiner Gnade, an einen Ort, an dem wir sicher sind.“ (The Prayer) “What a wonderful world” ganz am Schluss als Zugabe. Halma interpretiert Louis Armstrong. „I hear babies cry, I watch them grow…I see friends shaking hands, saying how do you do?……” Das Herz blüht auf und sinkt wieder in sich zusammen. 

    Johann Georg (Hansjörg) Rogger. Johann.rogger@me.com

  • Inspirationen, um nicht an der Welt zu verzweifeln

    „I think to myself what a wonderful world, ich sehe grüne Bäume und rote Rosen“ – Louis Armstrong. „Te voglio bene assai – die Kraft der Lyrik dove ogni dramma è un falso – con un po’ di trucco e con la mimica kannst du ein anderer werden“ – Lucio Dalla.

    Vorsorglich mit Pullover ausgestattet, sitz ich unter dem aufgespannten Dach. „…..In diesem Moment scheint das Glück unendlich fern……werden Hoffnungen zerstört“ – Roger Cicero. Trio Halma interpretiert. Eine kühle Briese. Derweil werden Ukrainische Kinder, Frauen und Männer abgeschlachtet. In diesem Moment bangen wieder viele um ihre Träume. Und ich sitze da und erträume mir a wonderful world unter freiem Himmel, ohne Sirenengeheul. Die Artilleriegeschosse töten 2000 Km von hier entfernt diese schöne Welt. Und russische Invasoren vernichten Städte, mutwillig, gnadenlos. China drangsaliert Uiguren und Tibeter, in Myanmar tötet man die Freiheit, den Syrern schickt man russische Bomben. Schandbar, shameful, vergognoso. Und ich sitze hier – mein Blick zum Himmel ist frei und ohne Angst.

    Ich freue mich über Josh Grobans to Where you are, über den wunderbaren Gesang, die Geige und das Klavier. Und ich bange um die Menschen und das Land. Es ist bald ein halbes Jahr her, die Nächte geben den Schlaf nicht mehr frei, und die Tage werden zur Qual. Es muss furchtbar sein, wissen zu müssen, morgen kann es meine Kinder treffen, meine Frau, meine Freunde. Unvorstellbar grausam und doch bleibt das Nachvollziehbare theoretisch, für uns, für mich. Es sind unsere Nachbarn, die die Panik aushalten müssen. 

    „Flieg mich dorthin, wo du bist, jenseits des fernen Sterns“ – Josh Grobans sagt das in seinem Lied. „Ich wünsche mir, dich heute Abend lächeln zu sehn“ – Josh Grobans. Aber es ist schwer geworden in diesen Tagen. Das Lächeln, die Freude und die Sorglosigkeit wurden zu Wunschträumen. „Schläfst du sanft in meinem Traum“ – Der gewaltsame und viel zu frühe Tod lässt das Träumen nicht mehr zu. Den Uiguren, den Burmesinen in Myanmar, den Syrern, den Einwohnern Hongkongs, den Ukrainern, und vielen anderen hat der eigene oder ein fremder Machtapparat das Träumen gekappt. 

    „Besame mucho, Que tengo miedo a perderte – Küss mich viel, ich habe Angst, dich zu verlieren“ von Luis Miguel, interpretiert von Halma. Und dann der langanhaltende Applaus. „Kunst, Tanz, Theater, ich denke für die Zuschauer ist das so etwas wie ein Seelensanatorium“ – Ruslan Talipow, Tänzer am Theater in Odessa sagt das am 10. August, dem 167. Tag des Angriffskrieges Russlands. Halmas Musik, ein paar tausend Kilometer weg von der Katastrophe, ist etwas Besonderes, auch für die Seele.

    Hass, Wut und Rachegedanken treiben mich um in diesen Tagen. Das Trio Halma versprüht die Inspiration – für eine kurze Weile – in die Sanftheit zurückkehren zu können. 

    Johann Georg (Hansjörg) Rogger