Kategorie: Werte

  • Planet Drum

    „Am Anfang war die Tat!“ – So ruft Faust, nachdem er das „Wort“ verworfen, den „Sinn“ erwogen und die „Kraft“ durchschritten hat. Goethes Held ringt mit dem Urbeginn – und erkennt schließlich: Nicht Denken, nicht Reden, sondern Handeln ist Ursprung der Welt. Die Tat wird zum ersten Prinzip, zum schöpferischen Akt, nur sie kann Wirklichkeit stiften.

    Als ich Barbara Seebers Planet Drums zum ersten Mal sah – und nun wieder in ihrer jüngsten Performance –, drängten sich mir Goethes Urworte auf. Da kreisen stilisierte Erdkugeln, erfüllt von Worten, Farben und Klängen – als wären sie selbst Metaphern des Schöpfungsbeginns. Nicht zufällig rufen sie Fausts Ringen um das Ursprüngliche in Erinnerung: das Wort, der Sinn, die Kraft – und schließlich die Tat. In Planet Drums scheint all dies zu pulsieren – eine verdichtete Weltidee – divers, friedvoll, bunt und inspirierend.

    Es ist nicht das, was uns die rechten Hitzköpfe und Verschwörer weismachen wollen. Kein Lärm, kein Aufruhr, keine Gewalt – sondern ein Innehalten. Für einen flüchtigen Moment entziehen sich die Planet Drums der Gewalt der Welt, jener Zerstörungskraft, die aus imperialer Gier Tag für Tag neues Elend gebiert.

    Und doch sind sie kein bloßer Trost. Ihre Form ist elementar, fast urbildlich – kugelrund, atmend, offen. Sie vibrieren nicht nur im Klang, sondern im Sinn. In ihnen klingt eine Ahnung von Welt: das Viele im Einen, das Eine im Vielen. Schwingung als Widerstand, Klang als Erinnerung an ein Gleichgewicht, das wir längst verloren haben – und vielleicht wiederfinden könnten.

    Seeber formt sie von Hand aus schamottiertem Ton, langsam getrocknet, in zwei Bränden gehärtet. Im abschließenden Raku-Verfahren, glühend aus dem Ofen geholt und in organischem Material reduziert, entstehen jene markanten schwarz-bronzierten Oberflächen: ein Spiel aus Glanz, Schatten und Zufall. Jede Trommel ein Planet.

    Inspiriert von der afrikanischen Udu und der indischen Ghatam, sind die Planet Drums Einzelstücke. Ihre Form: geschlossen und offen zugleich. Zwei Öffnungen erzeugen zwei Basstöne, dazwischen ein schimmerndes Spektrum vibrierender Obertöne – warm, hypnotisch, haptisch begehrenswert. Geht man an Ihnen vorbei, möchte man sie angreifen, die Rundung streichend fühlen.

    Seeber geht über das Klangobjekt hinaus. In ihren literarischen Planet Drums fügt sie Sprache hinzu: Zoderer, Oberhollenzer, N.C. Kaser. Die Trommel wird zum Träger von Bedeutung, der Klang zum Resonanzraum des Gedankens. Wort und Ton, Literatur und Rhythmus treten in einen leisen, vibrierenden Dialog. „Wenn die Planet Drum in Schwingung versetzt wird, werden auch die Botschaften ins Schwingen gebracht und verbreitet.“ Zoderers „Meine Nacht blutet nicht mehr, ich habe ihre Wunde geschlossen, mit meinen Lippen“ Ein poetisches Fragment, berührende Momentaufnahme vor allem in diesen Zeiten, wo mörderische Gewalt viele Nächte bluten lässt.

    Goethes Faust ringt mit dem Anfang: „Im Anfang war das Wort“ – doch er streicht es, tastet sich weiter vor – zum Sinn, zur Kraft – bis zur Tat. Genau diesen Übergang scheint Barbara Seeber zu vollziehen: Ihre Kunst ist nicht Behauptung, sondern Handlung, Verkörperung, klanglich gewordene Weltauffassung – eine poetisch friedvolle, auf Dialog fokussiert. Sie setzt das Wort, den Klang und die Schwingung an den Anfang allen Seins. Denkt man an den Urknall, dann mag Barbara Seeber recht haben. Und doch wieder nicht, wenn man der physikalischen Gesetzmäßigkeit folgt, dass Klänge, Geräusche und auch Worte nicht aus dem Nichts entstehen können.

    Hansjörg Mutschlechner hat die Musik zum Film komponiert, der anlässlich der Präsentation gezeigt wurde: „Von jeher war der Klang eine Brücke zum Universum, der es ermöglicht, Energie und Schwingungen zu erkennen und uns mit ihnen zu verbinden.“ Sagt Hansjörg Mutschlechner.

    Und die Mantra Planets vermitteln eine Ahnung davon, was gut ist auf unserem Planeten: „Kein einziger Mensch soll verloren gehen.“

    Hansjörg Roggers Gedanken zu den Planet Drums und zur Performance von der Künstlerin Barbara Seeber im Schloss Bruneck

  • Von Verfassungen und Verrätern – Die billige Maskerade westlicher Russland-Versteher

    Drei Jahre Krieg, zehntausende Tote, Millionen auf der Flucht – und noch immer sitzen manche im Westen mit erhobenem Zeigefinger in ihren warmen Wohnzimmern, nippen am fair gehandelten Kaffee und raunzen über „die NATO-Provokation“. Sie applaudieren einem imperialen Vernichtungsfeldzug, als ginge es um ein geopolitisches Planspiel – nicht um Morde, Folter, Deportationen. Ihre Solidarität gilt nicht den Opfern, sondern dem Aggressor. Und dabei berufen sie sich auch noch auf „Prinzipien“, „Werte“, „Recht“.

    Besonders beliebt: das Eigentumsrecht. Doch wehe, man erinnert sie daran, dass genau dieses Recht – das sie angeblich verteidigen – gerade mit russischen Raketen in Schutt und Asche gelegt wird. Dass die Ukraine nicht nur Häuser verliert, sondern Land, Menschen, Geschichte. Dass Eigentum dort nicht enteignet, sondern geraubt wird. Und zwar mit brutaler Gewalt, nicht etwa unter Zuhilfenahme rechtlich fundierter Prinzipien.

    Man stelle sich vor: Ein Panzer rollt vor ihr Haus, Soldaten stürmen rein, besetzen den zweiten Stock und hängen eine ihnen fremde Fahne aus dem Fenster. Kein Vertrag, kein Gericht, keine Entschädigung. Einfach so. Und wenn der Widerstand kommt, werden Kinder als Schutzschilde benutzt, deportiert, werdende Mütter ermordet und wahllos niedergeschossen, was ihnen in die Quere kommt. Willkommen im Spiegelkabinett der Doppelmoral.

    Und was sagt eigentlich Russlands eigene Verfassung dazu? Überraschung: Sie kennt das Eigentumsrecht. Artikel 35 – jeder darf besitzen, niemand darf willkürlich enteignet werden. Nur mit Gesetz, nur im öffentlichen Interesse, nur mit fairer Entschädigung. Artikel 36 – Grundbesitz, ja. Aber nicht gegen das Allgemeinwohl. Ein schöner Text, ein hübsches Deckmäntelchen für einen Staat, der ihn täglich zerreißt.

    Denn was tut der Kreml seit 2014?

    Raubzug auf der Krim – ohne Recht, ohne Maß, ohne Scham. „Gesetz“ wird nach Bedarf zurechtgebogen – oder einfach ignoriert. Die Ukraine hat völkerrechtlich verbrieftes Eigentum – das wird mit Panzern niedergewalzt. Das „Allgemeinwohl“ stirbt in Butscha, Mariupol, Charkiw, Kiew usw. usw

    Diese russische Verfassungsrealität, die Betonung liegt auf „Realität“, ist eine Farce – sie ist eine Kriegserklärung an das Recht selbst und wird zur Makulatur. So wie es im Roman von Orwell steht: alles ist gleich, aber manche sind eben gleicher. Und wer im Westen glaubt, das alles mit geschlossenen Augen hinnehmen zu können, spielt Komplize. 

    Und während der Kreml seine eigenen Gesetze in der Pfeife raucht, klatschen manche im Westen immer noch höflich Beifall. Man fragt sich, was schneller geht: das Umdrehen der Werte oder das Ausblenden der eigenen Doppelmoral. Nur eines ist sicher: Wer heute noch glaubt, das Eigentum anderer sei verhandelbar, sollte sich nicht wundern, wenn morgen jemand an die eigene Tür klopft. Nicht zum Reden. Sondern zum Nehmen.

    Hansjörg Rogger