Gepredigt, verordnet, weggenommen

Es war ein Nachmittag. Warm war es, und sie saßen in der Küche beim Kaffee. Ich war ein Bub mit zehn Jahren. So wie wir das immer machten, wir radelten durch das Kaffeekränzchen durch, schrien, lachten und gingen den Kaffeetrinkern nicht selten auf die Nerven. An diesem Nachmittag war es etwas anders. Die Tür war zu und ich konnte von draußen hören, dass es um mich ging. „Wir wollten ihn ‚Hansjörg‘ taufen, aber der Pfarrer hat uns das verwehrt.“ Ich stoppte an der Tür und lauschte. In diesem Moment machte ich mir darüber keine Sorgen, wurde ich doch meistens mit dem Namen Hansjörg gerufen. Meistens! Die anderen Namen, Hansl und Hons gingen mir dermaßen auf die Nerven, dass ich laut aufschreien wollte, aber ich traute mich nicht. Dieser Nachmittag hat aber einiges in mir angefacht. Nicht sofort aber stetig und immer inwendig in mir drinnen. Wenn man es nicht so gut mit mir meinte, dann war ich der mit dem falschen Namen. Wenn ich den anderen wohlgesinnt war, dann war ich der mit meinem richtigen Namen.

An diesem Nachmittag wuchsen langsam meine Zweifel an dem, was uns jungen Buben und Mädchen von der Kanzel heruntergepredigt wurde. Und der Zweifel wuchs zum Zorn heran. In mir selber, ganz tief in mir drinnen, sodass ihn niemand mitbekommen hat. Der Zorn auf jene Kirche, die mir einen Namen verwehrt hat, der mir zugestanden war. Aus Hansjörg wurde Johann Georg, weil es, so die Begründung des Pfarrers, keinen heiligen Hansjörg gibt. Und wie gesagt, man machte daraus nicht selten jene verkorksten Bezeichnungen, die mich ein ganzes Leben lang nicht in Ruhe ließen. Wer bin ich? Wer will ich sein? Auf den Amtspapieren, in den Ausweisen hieß ich Johann Georg, als Hansjörg wollte ich gerufen werden.

Die Kirche hat mich in eine Identitätskrise getrieben, aus der ich nicht mehr herausgekommen bin. Kling dramatisch, aber es war nun mal so. Und dabei sollte es die Kirche sein, die das Heil verkündet. Davon ging ich immer aus.

Den Zorn wollte ich oft herausschreien, aber es ging nicht, ich war zu feige, ich traute mich nicht; die Revolutionen habe ich nur in meinem Kopf ausgefochten, mit mir allein. Ich traute mich nie, offen gegen etwas einzutreten. Dies hätte mir voraussichtlich Nachteile einbringen können, so dachte und fühlte ich. Aber inwendig, da ging es immer zur Sache. Endlos die Situationen in denen ich gekocht hatte.  Nie oder selten hatte ich gewagt, den Deckel zu öffnen, aus Opportunismus, aus Schwäche, aus Feigheit, aus Angst – stimmt alles. Es war einfach so. Es ist mühsam,  nach den Gründen zu fragen, mühsam zu fragen, warum ich mich meiner Gedanken schämte.

Wenn die Institution Kirche es schafft, dass man ein Leben lang der Identität hinterherlaufen muss, dann muss an dieser Institution etwas faul sein. Seit diesem Nachmittag zweifle ich an der Glaubwürdigkeit kirchlicher Heilsversprechen. Und die Zweifel wuchsen mit den aufgedeckten Verbrechen, die die Kirche zu vertuschen suchte.

Johann Georg alias Hansjörg Rogger, 2021