(Nichts gewusst, nichts verhindert, alles vertuscht)
Drei Bilder zu Beginn:
Beispiel 1: Wenn jemand nach einem Autounfall flieht, obwohl er den Unfall verursacht hat, spricht man von Fahrerflucht. Strafbar – wie wir wissen.
Beispiel 2: Wer einen Unfall sieht, aber nicht hilft, macht sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig. Auch das ist vor Gericht zu verantworten.
Beispiel 3: Wenn sich Kirchenobere an Kindern vergehen, sie sexuell missbrauchen, dann wird vertuscht, gelogen und verdreht. Und diejenigen, die behaupten, nichts gewusst zu haben, falten weiterhin ihre Hände – als sei nichts geschehen. Keine Verantwortung vor Gericht, und wo bleibt die Verantwortung vor Gott?
Was ist mit den Zehn Geboten Gottes? Gelten die nicht auch für seine irdischen Vertreter? Wenn ja – dann wird es höchste Zeit für eine gründliche Gewissenserforschung.
Was sich hier über Jahrzehnte zugetragen hat, sind keine bedauerlichen Einzelfälle. Es sind Verbrechen. Systematisch, wiederholt, verschwiegen.
Höchste Kirchenherren, umgeben von Weihrauch, Ehrfurcht und frommem Schweigen – sie haben viel an Respekt verspielt.
Ihre Heilslehre? Ein Druckmittel. Eine stille Erpressung im Namen des Glaubens. Brav sein, gehorchen, schweigen. Die Hölle als Keule, das Fegefeuer als Dauerandrohung – ein pädagogisches Konzept aus Angst und Gehorsam.
Und die, die selbst zu Tätern wurden? Sie richteten sich ihre eigene Hölle bequem ein. Eine Hölle für die anderen – für jene, die ihre Übergriffe zu ertragen hatten, schweigend, beschämt, eingeschüchtert.
Was als Glaube verkauft wurde, war Machtausübung im Talar. Autokratie mit Kreuz. Und wieder einmal musste Gott herhalten – als Vorwand, als Feigenblatt, als stiller Komplize.
Im „Namen Gottes“ wurden Frauen lebendig verbrannt, Kriege gesegnet, Verbrecher gedeckt. Man berief sich auf das Himmelreich, während man die Hölle auf Erden entfachte.
Kaum vorstellbar, dass eine höhere Macht solches Wüten abgesegnet haben soll. Oder war der liebe Gott bloß abwesend – oder längst entmachtet von seinen irdischen Stellvertretern?
Man hat es bei uns Buben, damals in den 60ern, tatsächlich zuwege gebracht, dass wir uns marterten mit dem Gedanken, beim Ausziehen, beim Baden, beim kleinen und großen Geschäft, geschweige denn bei der Selbstbefriedigung nicht mit unserem „Unanständigen“in Kontakt zu kommen. (Unanständig stand für Penis) Als Sünde wurde es uns verkauft, und ich wette darauf, dass dies von denen, die uns das eingeredet hatten, nie als Missgriff empfunden wurde. Ich hatte mir immer in meinen „verbotenen“ Träumen vorzustellen versucht, wie es der Pfarrer wohl anstellen würde, ohne beim Pingeln dieses „schweinische Ding“, wie wir es gelegentlich genannt bekommen baben, in die Hand nehmen zu müssen. Oder muss ein Pfarrer nicht? Das habe ich mir in meiner Naivität vorzustellen versucht. Ist ein Mann Gottes anders? Sie werden lachen, aber an einen solchen Stumpfsinn habe ich dabei gedacht. Selbstbefriedigung war sowieso verboten und musste dem Pfarrer ins Ohr gebeichtet werden. Heute weiß ich, dass dieses Beichten ein einziges Mal im Beichtstuhl kniend dem Herrn hinter dem Gitter ins Ohr zu flüstern, ein einziges Mal zu viel gewesen war.
Aber das ist eigentlich Pinatz im Vergleich mit jenen Buben und Mädchen, die den Gottesmännern mit weißem steifen Stehkragen die Hosentür zu öffnen hatten. Beispiele der letzten Jahre gibt es zuhauf; Kremsmünster usw. usw. Südtirol ist nicht ausgenommen. Die heile Welt gibt es nirgendwo.
„Vielleicht ist nichts Entsetzlicher am heutigen Menschen, als dass er sich nicht mehr entsetzt.“ schreibt der Religionssoziologe Horst Herrmann in seinem Buch „Sex und Folter in der Kirche“ (Sex und Folter in der Kirche, 2000 Jahre Folter im Namen Gottes, Horst Herrmann, Bassermann, 2019)
Die Kirche hat es verwirkt, Heimat zu sein, lange schon. Ein interessantes Interview mit dem ehemaligen Generalvikar im Erzbistum München und Freising und Priester Peter Beer in der ZEIT Nr. 5/2022 gibt Hoffnung auf Menschen, die die Verkündigung Jesus noch ernst nehmen und nicht mehr alles hinzunehmen bereit sind, was die Kirchenführung diktiert: „Wenn die Kirchenführung meint, dass sie Kinderschänder und Täterschützer in ihren Reihen dulden darf, aber jemanden loswerden muss, der ernsthaft ringt, dann kann sie mich gernhaben……“ (Peter Beer im Zeitinterview, ZEIT, 2022, Nr.5, S.58)
Johann Georg (Hansjörg) Rogger
Publizist, 2022