„Und plötzlich fällt ein Windstoß in den Wald, und es braust auf: ‚Bchuuuuuu!‘ Da hab ich gemerkt, dass sich alles verändert, dass nichts gleich bleibt.“ Sagt Bockelmann. „Ein Erlebnis – der Sonnenuntergang – damals, als Vater uns Kinder auf den Balkon rief. Wenn man das von früh auf als Bub und Mädchen nicht lernt, sieht und hört man das später nicht mehr, nie wieder.“ Sagt Manfred Bockelmann. Und weiter: „Wir müssen alles lernen, sogar die Liebe müssen wir lernen.“
Bilder mit meditativem Charakter sind es: „……die ich als Therapie für mich selber gemalt habe…“ Das war die Zeit der großformatigen Ölbilder. „…..Man darf nicht für andere malen, man muss sich zuallererst selber überzeugen. Wenn das gelingt, stellt man fest, dass man damit auch andere überzeugt.“ (Bockelmann) In dem abstrakten gegenstandslosen Bild, so sagt es Bockelmann, kann nichts benannt werden. Da gibt es nichts, was wir aus unserer konkreten Welt kennen. Kein Baum, kein Berg, kein Haus. „Es ist eine weite leere Landschaft. Vielleicht der Horizont und seine grenzenlose Weite.“ Sagt Bockelmann. „Bitte hör nicht auf, diese Bilder zu malen, because we need it.“ sagte ihm ein New Yorker in einer Ausstellung 1981.
„Ich habe meinem Vater das Versprechen geben müssen, nie in meinem Leben mit einem Gegenstand auf einen Menschen zu zielen – es könnte irgendwann ein Gewehr sein.“ Sagt Manfred Bockelmann. Das war einer jener Momente in seiner Biografie, die ihn aufmerksam gemacht haben – auf das Leben und auf die Sanftheit. Und nicht nur.
Und ich – oben auf der Empore – beginne zu assoziieren: „Seht ihr den Mond dort stehen, er ist nur halb zu sehen, und ist doch rund und schön……“ Matthias Claudius. Und Hugo Zuckermann huschte auch noch schnell in meine Gedanken hinein: „..uns schreckt kein spielender Schatten, uns trübt kein nebelnder Rauch. Wir trinken von farbensatten Wiesen den kühlen Hauch…..“
Bei Alard von Kittlitz fand ich folgende Beschreibung: „Es sind Bilder, in die wir als Betrachter hineinlegen können, was wir wollen.“ Landschaft, der blaue Blick in den Horizont hinein, das Meer. „Diese Bilder stellen das aber eben nicht dar, und insofern zeigen sie uns höchstens uns selbst und was in unseren Köpfen los ist und fragen vielleicht auch vorsichtig, ob wir es nicht einmal stumm mit ihnen versuchen wollen: ohne die ewigen Störgeräusche des in Sprache gegossenen Denkens.“ (Alard von Kittlitz im Zeitmagazin Nr.40) Lass im Betrachten deine Welt entstehen. Also stehe ich vor den Bildern, schiebe das Denken etwas zur Seite und erschaffe meine eigene Welt. Kurt Tucholsky mischt sich aber dann doch noch dazwischen mit seinem „Sündhaft blauen Tag. Die Luft ist klar und kalt und windig, weiß Gott: ein Vormittag, so find ich, wie man ihn oft erleben mag.“
„Es ist die Erinnerung an das, was wichtig ist.“ Sagt Bockelmann. „Wir kommen alle aus der Landschaft und verschwinden wieder in ihr. Am Ende gibt es nur mehr Staub.“ Und das, was von uns übrig bleibt – was wir selber geschaffen haben. Der eine so, der andere anders. „Ich male.“
„Die Blätter fallen, fallen wie von weit, als welkten in den Himmeln ferne Gärten…..“ Anfangsverse des Herbstgedichtes von Rilke. Anders als Rilke beschreibt sie Bockelmann nicht, er zeichnet und malt sie. In vielen Varianten. Keine Variante ist der anderen gleich. „Am Baum ist das Blatt zweidimensional, aber wenn es runterfällt, dann krümmt und rollt es sich ein. So wie die Hand eines alten Mannes.“
„Es ist so, als erleideten sie den Herzschlag und sterben ab.“ Der Abschied von der Welt. Sie haben Ihre Schuldigkeit getan, verfärben sich, fallen, bäumen sich auf, krümmen und winden sich. Am Ende verfallen sie zu Staub. „Wir alle fallen. Diese Hand da fällt. Und sieh dir andre an: es ist in allen.“ Zwei Verszeilen Rilkes.
Das gefallene Blatt ist am Ende seiner Tage. Bockelmann malt es blau. „Die blaue Farbe ist eine mystische Farbe.“ Sagt Bockelmann. In der Natur ist sie vor allem dort zu sehen, wo Lichtbrechung ihr die blaue Illusion verleiht. In der Romantik suchte Eichendorff nach der blauen Blume: „…….Ich suche und finde sie nie, mir träumt, dass in der Blume mein gutes Glück mir blüh…….“
„Mit der Farbe blau will ich einen Kontrast setzen und einen Hinweis geben, dass das Leben weitergeht. Und das blaue Blatt erweckt das Interesse, das es sonst so nicht geben würde.“ Am Ende wird das blaue Blatt auf eine Weltreise geschickt. Von der Werkstatt Bockelmanns in Kärnten 19mal in die Welt und dann wieder zurück: Kiew, Lemberg, New York, Bologna, Vatnajökull (Island), Herne in Nordrhein Westfalen, Namibia, Tunesien, Wien, Toblach, Latschach in Kärnten – und noch andere mehr. Ich bin gespannt, was sich Kinder in der Welt zum blauen Blatt haben einfallen lassen. Interessant weltoffen, was sich das Team des Kuratoriums Rudolf Stolz Museum ausgedacht hat.
Johann Georg (Hansjörg) Rogger. Manfred Bockelmann: 24.6.23 und 3.9.23. Johann.rogger@me.com Korrekturgelesen: ChatGPT