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  • Inspirationen, um nicht an der Welt zu verzweifeln

    „I think to myself what a wonderful world, ich sehe grüne Bäume und rote Rosen“ – Louis Armstrong. „Te voglio bene assai – die Kraft der Lyrik dove ogni dramma è un falso – con un po’ di trucco e con la mimica kannst du ein anderer werden“ – Lucio Dalla.

    Vorsorglich mit Pullover ausgestattet, sitz ich unter dem aufgespannten Dach. „…..In diesem Moment scheint das Glück unendlich fern……werden Hoffnungen zerstört“ – Roger Cicero. Trio Halma interpretiert. Eine kühle Briese. Derweil werden Ukrainische Kinder, Frauen und Männer abgeschlachtet. In diesem Moment bangen wieder viele um ihre Träume. Und ich sitze da und erträume mir a wonderful world unter freiem Himmel, ohne Sirenengeheul. Die Artilleriegeschosse töten 2000 Km von hier entfernt diese schöne Welt. Und russische Invasoren vernichten Städte, mutwillig, gnadenlos. China drangsaliert Uiguren und Tibeter, in Myanmar tötet man die Freiheit, den Syrern schickt man russische Bomben. Schandbar, shameful, vergognoso. Und ich sitze hier – mein Blick zum Himmel ist frei und ohne Angst.

    Ich freue mich über Josh Grobans to Where you are, über den wunderbaren Gesang, die Geige und das Klavier. Und ich bange um die Menschen und das Land. Es ist bald ein halbes Jahr her, die Nächte geben den Schlaf nicht mehr frei, und die Tage werden zur Qual. Es muss furchtbar sein, wissen zu müssen, morgen kann es meine Kinder treffen, meine Frau, meine Freunde. Unvorstellbar grausam und doch bleibt das Nachvollziehbare theoretisch, für uns, für mich. Es sind unsere Nachbarn, die die Panik aushalten müssen. 

    „Flieg mich dorthin, wo du bist, jenseits des fernen Sterns“ – Josh Grobans sagt das in seinem Lied. „Ich wünsche mir, dich heute Abend lächeln zu sehn“ – Josh Grobans. Aber es ist schwer geworden in diesen Tagen. Das Lächeln, die Freude und die Sorglosigkeit wurden zu Wunschträumen. „Schläfst du sanft in meinem Traum“ – Der gewaltsame und viel zu frühe Tod lässt das Träumen nicht mehr zu. Den Uiguren, den Burmesinen in Myanmar, den Syrern, den Einwohnern Hongkongs, den Ukrainern, und vielen anderen hat der eigene oder ein fremder Machtapparat das Träumen gekappt. 

    „Besame mucho, Que tengo miedo a perderte – Küss mich viel, ich habe Angst, dich zu verlieren“ von Luis Miguel, interpretiert von Halma. Und dann der langanhaltende Applaus. „Kunst, Tanz, Theater, ich denke für die Zuschauer ist das so etwas wie ein Seelensanatorium“ – Ruslan Talipow, Tänzer am Theater in Odessa sagt das am 10. August, dem 167. Tag des Angriffskrieges Russlands. Halmas Musik, ein paar tausend Kilometer weg von der Katastrophe, ist etwas Besonderes, auch für die Seele.

    Hass, Wut und Rachegedanken treiben mich um in diesen Tagen. Das Trio Halma versprüht die Inspiration – für eine kurze Weile – in die Sanftheit zurückkehren zu können. 

    Johann Georg (Hansjörg) Rogger

  • Das Mädchen und die weiße Zaunwinde (das Gewinnerbild im Rahmen des Wettbewerbes „Die Frau in der Kunst“)

    Es ist eng zwischen dem satten Grün. Weidenröschen links, Jungfernrebe rechts und dazwischen grünes Gras, Sonne und Schattenbilder. Es ist kühl. Eibe, Fächerahorn, Flieder und das tiefe kühle Grün des Wiesengrases. Es ist leise. Rascheln – zuerst links, dann rechts. Mehr tut sich nicht – nur Stille. In der Luft feine Flügelschläge – ein paar Bienen, Ameisen am Boden, Schmetterlinge in der Luft. Luftbriese sanft auf der Haut. Der Morgenduft ist lau. Es riecht nach Yasmin und taunassem Gras. Die Sonne saugt aus der nassen Erde. Und die weiße Zaunwinde vor mir, feucht und schön. Ich – gedankenverloren mittendrin. 

    Die Felder lagen still und schwer,
    Der Sommer brachte Segen.
    Wir gingen kreuz und gingen quer
    Und kamen von den Wegen.
    Es stand ein roter Mohn im Korn
    Und eine weiße Winde,
    Es hing ein kleines Nest im Dorn
    Aus Halmen und aus Rinden. (Gustav Falke)

    What a wonderful world. Louis Armstrong klingt mir in den Ohren. ich sehe grüne Bäume, rote Rosen, sie blühen für dich und mich. Und ich denke, was für eine wunderbare Welt. Ich rieche an der weißen Winde. Die Stille ist schön, majestätisch unaufdringlich. Schlag noch einmal den Bogen um mich du grünes Zelt. Da draußen stets betrogen saust die geschäft‘ge Welt – Eichendorff war es, der diese Verszeilen niedergeschrieben hat. Und jetzt wartet die Mama daheim. 

    Johann Georg (Hansjörg) Rogger

  • Danke für diese Herzklopfüberraschung

    Ich wollte nicht mehr da sein. Und ich war es dann doch. Ganz kurz noch – eine Erinnerung hat mich an gerade diesen Tisch gezogen. Den ganzen Abend war das so. Hier dieses sich Erinnern, dort ein anderes. Aber es war der Abend dann doch zu kurz, um überall hinzukommen, wo Erinnerungen haften.

    Katja hat mich angesehen. Der Blick – so hoffte ich – sei Zufall; ich saß halt grad und zufällig in dieser Richtung. Ein zweites Mal, der Blick so fest und nicht für mich – dachte ich. Katja las und dann wurde es mir doch lauter in meiner Brust. Es war, als ginge ich frühmorgens um mein Haus herum, sah wie sich die Knospen des Flieders, des Yasmins, des Geißblattes ans Licht herauskämpften. Ich sah, wie ich die vielen Weinbergschnecken vom Weg weg, ins feuchte Gras setzte. Die prallen Knospen und die fragilen Schneckenhäuschen – unprätentiöse Überraschung – jeden Morgen. 

    Bei Katja nun kam das Herzklopfen dazu. Unsere 5-Minuten-Geschichte ganz Nahe an der Big Band Bühne. 

    Ein Flow ging durch mich hindurch. Ich saß neben Renate und erzählte ihr mein tolles Erlebnis, das ich hatte, als ich ihr im Fernunterricht über die Schultern blickte. Albert Camus stand an. Und jetzt kam die Geschichte von Katja. „Endlich“ hat sie sie genannt. Ein paar Sekunden weggetreten, dann war ich wieder ganz da, mitten drinnen. Aufgewühlt schon, verlegen auch, bewegt – und wie! Voll zugewandt an das, was Katja so wunderbar niedergeschrieben hat.

    Hans-Jörg Rogger

  • Wir Buben durften in den 50ern und 60er nicht weinen, jetzt geht es nicht mehr anders

    20 Stunden von Südtirol nach Kiew. Wenn ich ein Lineal von Südtirol nach Kiew lege, dann überquere ich Österreich und Ungarn. Danach bin ich in der Ukraine. 20 Stunden von uns entfernt sterben Menschen, werden Existenzen ruiniert, Häuser zerbombt. Und dies alles, weil sich ein Krimineller, so wie Hitler damals, Großmachtphantasien ausdenkt. So wie damals werden Vasallen willfährig gemacht, gekauft und unter Druck gesetzt. Und es wird gelogen und betrogen. Das Volk hat zu parieren und alles wird im Sinne der Machthaber umgedeutet. 
    Dieser Mann im Kreml hat Angst vor der Wahrheit. Anders ist es nicht zu erklären, dass am 4.März 2022 das Mediengesetz noch einmal verschärft wurde. Nichts mehr ist möglich, die Staatsversion allein hat Gültigkeit. Er präsentiert sich zwar immer in gebügeltem Hemd mit Krawatte, aber, so die Vermutung, im Hintergrund wird er schlottern, schreien und Wodka saufen. Das bekommen wir nicht zu sehen, müssen es auch nicht. 

    Am 6.Juli 2022 schloss für immer das weltbekannte Gogol-Zentrum in Moskau. Die Moskauer Stadtverwaltung hat die Schließung nach zehn Jahren angeordnet. Die Avantgarde mit Regimekritik und Widerstand ist in Russland nicht mehr erwünscht. Im ausverkauften Theater wurde das Stück „Ich beteilige mich nicht am Krieg“ an eben diesem 6. Juli zum letzten Mal aufgeführt. Danach verkündete der Saalsprecher: „“Das Gogol-Zentrum ist geschlossen….(Pause)…. Für immer.“ (Kulturzeit, 3sat, vom 6.7.2022)

    Johann Georg (Hansjörg) Rogger
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  • …Oder aber er macht`s dem Hitler nach…

    ….eine Pistole an den Kopf und sich anschließend verbrennen lassen. Oder aber es stehen endlich mutige Russen auf und lassen sich nicht mehr länger gefallen, was ihnen die KGB-Geschulten, Drangsalierer und Kriegsverbrecher antun. Oder es steht endlich mal die Kirche auf, die sich sonst so händefaltend friedensliebend gibt – Ich sehe keine Bischöfe vor Ort, ich sehe den Papst nicht, der sonst so gerne in das Flugzeug steigt. Predigten aus gesicherter Entfernung heraus gab es bereits zuhauf. Also, genug davon. Und die, die sonst so gerne alles besser wissen, und die, die ihren Einfluss in der Welt immer wieder gerne bewerben, die sollen nicht reden, sondern dorthin fahren, wo die Befehle für den Massenmord gegeben werden. Am 5.März, dem 11. Tag der Invasion, sagte der Papst, dass sie aufhören sollten: „….und ich flehe vor allem darum, dass die bewaffneten Angriffe aufhören und die Verhandlungen und der gesunde Menschenverstand obsiegen.“ Dies über eine Distanz von 3.000 Km hinauszupredigen ist viel zu wenig. Und hat unser Papst den Versuch unternommen mit dem Putinfreund, dem orthodoxen Patriarchen Kyrill ins Gespräch zu kommen? Ob katholisch oder orthodox – unter Christ-Sein verstehe ich etwas ganz anderes. Am Tag des Überfalls der Russen sagte der russisch-orthodoxe Patriarch: „Ich fordere alle Konfliktparteien auf, alles zu tun, um Opfer in der Zivilbevölkerung zu vermeiden.“ Kennen wir alles schon, tausendmal gehört, tausendmal ist nichts passiert. Ob katholisch oder orthodox, Worte sind Schall und Rauch, um es mit Goethe zu sagen. Erbärmlich, wie sich Kirche mal wieder in ihrem ironischen Zynismus weg duckt. Warum setzen sich die beiden Herren nicht auch mal an den langen Tisch im Kreml? Vielleicht hätten sie mehr Erfolg als die Staatschefs vor ihnen? Dann könnte Herr Putin mal beweisen, dass es ihm ernst ist mit seiner Show vor den orthodoxen Maria-Ikonen. Pragmatische Diplomatie ist gefragt und nicht das ewig fromme Narrativ der Kirche.

    Am 28.2.2022 schrieb ich an den Hoteliers- und Gastwirteverband: „Angesichts des schamlosen Angriffskrieges des Autokraten Putin ersuche ich, dass es den Russen verwehrt wird, in Südtirol Urlaub zu machen. Ich weiß, dass es nicht der Krieg der Russen ist, sondern dass Herr Putin seine kriminelle Energie jetzt auch an der Ukraine auslässt. Die EU und alle demokratischen Staaten haben in den letzten Stunden und Tagen richtig reagiert, indem sie gezeigt haben, dass es genug ist. Ich appelliere an den HGV, dass auch er zeigt, dass es jetzt reicht. Vielen Dank, Rogger J.G./Publizist 
    Am 3.3.2022 hat der HGV geantwortet: „Wie ganz Europa verfolgt auch der HGV mit Sorge die kriegerische Entwicklung in der Ukraine. Bis dato haben die EU und die westlichen Staaten eine Vielzahl an Sanktionen gegen Russland verhängt, um einen Wechselkurs der Politik Putins zu forcieren. Hierzu zählt nicht zuletzt der Ausschluss russischer Banken aus dem Swift und damit aus dem internationalen Finanzverkehr. Auch Sanktionen in den Bereichen Energie, Technologie, Verkehr und Medien wurden erlassen. Ihre Anregung, in Südtirol ein weiteres Zeichen gegen die Politik Russlands zu setzen, können wir nachvollziehen. Was ein allgemeines „Urlaubsverbot“ russischer Bürger:innen hierzulande betrifft, so möchten wir zunächst darüber informieren, dass der Anteil russischer Gäste in Südtirol, insbesondere in der wärmeren Jahreszeit, marginal ist. Zudem ist davon auszugehen, dass die Urlaubsaktivitäten aufgrund der bereits gesetzten massiven Sanktionen gegen Russland und des allgemein angespannten Verhältnisses zum Westen von sich aus in ganz Europa einbrechen werden. Maßnahmen, mit denen Russ:innen der Urlaub in Südtirol verwehrt wird, erachten wir daher als nicht dienlich. Wir möchten an dieser Stelle auch darauf hinweisen, dass es sich bei Einreise- bzw. Aufenthaltsrestriktionen um höchstpolitische Entscheidungen handelt, die nicht vom HGV, sondern allenfalls auf einer höheren, politischen Ebene getroffen werden können. Was der HGV zum jetzigen Zeitpunkt sehr wohl tun kann, ist, sich klar zu positionieren und seinen Beitrag zu leisten. Und das tut er auch. Der HGV hat in einer außerordentlichen Präsidiumssitzung vom 01.03.22 beschlossen, sich aktiv im Bereich der Unterbringung ukrainischer Flüchtlinge in Südtirol einzubringen. Über die definitive Ausrichtung der Hilfsaktion wird der HGV-Landesausschuss heute, den 03.03.22, entscheiden. In unseren Reihen zeigt sich große Bereitschaft, den vom Krieg betroffenen Menschen zu helfen. Mit Blick auf die Not und Verzweiflung in der Ukraine ist dies ein Gebot der Stunde.

    Am 2.3.2022 hat das Organisationskomitee des Busoniwettbewerbs mitgeteilt, dass am Wettberb 2022 auch die Russen teilnehmen dürfen. Am 2.3.2022 habe ich an das Komitee folgendes Schreiben gerichtet: 
    „Sehr geehrte Damen und Herren, mit Erstaunen habe ich heute vernommen, dass beim Busoniwettbewerb 2022 auch die Russen teilnehmen dürfen. Ich appelliere, das nicht zu tun. Ich weiß, dass dieser Krieg nicht der Krieg der Russen ist, sondern der Krieg Putins. Die EU und viele andere Organisationen haben richtig reagiert und gesagt, dass es jetzt genug sei, dass Putin in die Schranken gewiesen werden muss. Deswegen appelliere ich an das Organisationskomitee das zu tun, was moralisch zu tun ist. Mit freundlichen Grüßen“

    Mit Erleichterung hab ich zur Kenntnis genommen, dass am 3.3.2022 das Internationale Paralympische Komitee doch noch beschlossen hat, dass Russland und Belarus von den Spielen ausgeschlossen werden. Damit wird die Entscheidung vom Vortag revidiert. Gut so, die Welt hätte eine andere Entscheidung nicht verstanden.

    Am 2.3.2022 haben sich zwei Moskauerinnen getraut, folgendes ins Mikrofon zu sprechen (ORF-Wien):
    „Wir haben einen Affen mit einer Atombome als Präsidenten, wir werden jetzt erdrosselt mit Sanktionen. Wie sonst soll man den Menschen klar machen, dass es einen Regimewechsel braucht.

    „Er hat unser Land zerstört, die Leute denken, weil bei uns nicht geschossen wird, ist alles wie immer, das stimmt nicht, wir sind im Krieg.“

    Alexey Nawalny in seinem Tweet am 2.3.2022: „Lassen Sie uns wenigstens nicht zu einer Nation von verängstigten Schweigern werden, von Feiglingen, die so tun, als würden sie den aggressiven Krieg gegen die Ukraine nicht bemerken, den unser offensichtlich wahnsinniger Zar entfesselt.

    Nawalny im Tweet am 2.3.2022: „Putin is not Russia. And if there is anything in Russia right now that you can be most proud of, it is those 6824 people who were detained because – without any call – they took to the streets with placards saying No War.“

    Vitali Klitschko, der Bürgermeister Kiews, im Interview mit CNN auf die Frage, wie lange sie Kiew halten können: „Ich kann Ihnen keine klare Antwort geben, so lange wir noch am Leben sind.“ „Ich wende mich an die Ukrainer und alle internationen Partner, nicht wegzuschauen, was gerade in der Ukraine passiert. Dieser sinnlose Krieg in dem es keine Gewinner sondern nur Verlierer gibt.“ „Es ist wichtig, dass man Russland zeigt, die Welt schaut zu, was gerade in der Ukraine passiert. Die Welt kann nicht wegschauen. Diese Aggression, dieser sinnlose Krieg muss gestoppt werden. Jetzt!“

    All jene im Dunstkreis des Kriegsverbrechers, die das alles geschehen lassen, machen sich mitschuldig und werden die Verbrechen mit zu verantworten haben. Man erinnere sich an die Nürnberger Prozesse nach den Naziverbrechen. Da ging es nicht nur um die Befehlsträger und Drahtzieher. Auch Mitläufer und Schweiger werden sich nicht wegducken können, zumindest moralisch nicht. Mag das Land noch so groß und mächtig sein. Ich sehne den Tag herbei, dass dieses Russland vom Despoten Putin und seinen Vasallen befreit wird, und dass russische Kinder, Frauen und Männer ohne nach Verfolgern Ausschau halten zu müssen, über den Roten Platz spazieren dürfen.

    Johann Georg (Hansjörg) Rogger
    Publizist
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  • „Ich will nicht in Diensten eines Mörders stehen und von ihm mein Gehalt beziehen.“ (Direktorin des Russischen Staatstheaters CIM am 27.2.2022)

    „…Weil das meine Stadt ist, deshalb verlasse ich nicht meine Stadt!“, und weiter sagt Frau Kira Rudik: „Ich bin sehr sehr sauer und böse. Ich bin sauer, weil unsere Kinder jetzt wissen werden, was der Krieg ist, ich bin sauer, weil die Russen von uns verlangen, dass wir unsere Häuser verlassen, ich bin sauer, dass jetzt in der Ukraine viele Dinge zerstört werden, was wir selbst aufgebaut haben. Diese niederträchtige Bosheit Putins, so merkwürdig dies auch klingen mag, lässt uns unsere Angst leichter ertragen“ (Kira Rudik, Abgeordnete im Ukrainischen Parlament am 27.2.22)

    Gespräch mit meiner Bekannten Natascha in der Ukraine am 27.2.2022 über Skype: „Hallo Natascha! Es tut mir sehr leid, was dieser Verbrecher Putin mit euch in der Ukraine anstellt.“ Natascha weint, dann erzählt sie: „Meine Schwiegertochter hat vor zwei Tagen eine Baby bekommen. Das Baby musste mittels Kaiserschnitt zur Welt gebracht werden. Da es im Krankenhaus zu gefährich war, musste meine Schwiegertochter sehr schnell aus dem Krankenhaus entlassen werden. Die Nachbetreuung muss nun in meiner Wohnung erfolgen. Jetzt müssen mein Sohn und meine Schwiegertochter vom 12. Stock immer wieder in den Keller flüchten, sobald der Alarm losgeht, denn hier im 12. Stock sind wir nicht sicher.“ 

    Was für ein Hohn, bekamen wir doch in den vergangenen Monaten aus dem Munde einiger Impfgegner das Narrativ zu hören, wir würden uns hier in Europa in eine Diktatur hinein bewegen. Ein zynischer Hohn für all jene, die jetzt in der Ukraine um ihr Leben laufen müssen, weil ein krimineller Putin seine Diktatur dazu benutzt, alles in seinem Staat mit seiner kriminellen Energie zu überfluten. Das ist die wahre Fratze der Diktatur, wie sie uns Herr Putin und sein Vasall Lukaschenko täglich präsentieren.
    Es bleibt zu hoffen, dass diejenigen, die großspurig ihre Plakate gegen eine Pandemiediktatur in die Höhe gehalten haben, angesichts des perfiden Angriffs Putins, eine Kehrtwende machen. Den Begriff Diktatur willkürlich für ideologische Zwecke zu missbrauchen, ist nicht nur naiv sondern fahrlässig.

    Gewaltsames Sterben muss grausam sein. So dachte ich lange bevor ich erwachsen war – als junger Bub. Tod heißt, dass alles vorbei ist. Nie wieder gibt es die Hoffnung, nie wieder die Sehnsüchte, die Träume. Ausradiert! Claus Gatterer schreibt in seinen Tagebüchern: „Er (der Tod) ist nicht süß, wie’s im Gedicht heißt…Das Vaterland wirft seine Söhne ins Massengrab – und oft genug den Raben zum Fraß vor.“ Gewaltsames Sterben vor 100 Jahren ist um nichts ein anderes als es heute ist. Ist es tatsächlich Vorsehung, wie Luise Rogger 1914 ihrem Mann an die Front in Galizien schreibt: „…Wie es die göttliche Vorsehung bestimmt hat, so wird es kommen….für den einen Leben, für den anderen der Tod“ Ebenso ist es 100 Jahre her, dass Josef Tschurtschenthaler, von der Russenfront weit im Osten nach Hause schreibt: „….Bei Tag und Nacht, ohne Ruhe, immer das Sausen der Kanonen und Gewehrkugeln in den Ohren. Da schaut es ganz schrecklich aus. Drum, oh Gott, bewahre vom Kriege.“ Mittlerweile weiß ich, dass es nicht Gott ist, der uns vor Krieg bewahren kann. Das müssen wir Menschen schon selber tun.

    Und jetzt wiederholt sich die Geschichte: Damals war es Hitler, der alles niederwalzte, was nicht seinem Wahn entsprach. Jetzt ist es Putins krimineller Wahn, dem jetzt viele Menschen zum Opfer fallen. Der narzistische Wahn dieses Herrn kann, so scheint es, nicht gestoppt werden. Er mordet – Kinder, Frauen, Männer. Die Hoffnung bleibt, dass auch er, wie Hitler damals, ein grausames Ende erleben wird müssen. Vielleicht gibt es jemanden wie Stauffenberg damals? Oder er wird als Kriegsverbrecher gesucht? Oder er macht es so, wie es damals Hitler gemacht hat. Er legt Hand an sich.

    So oder anders – er wird von der Bildoberfläche verschwinden müssen. Je früher, umso besser. Alexei Nawalny sagte 2021 in einer seiner Reden vor Gericht: „Was ihr da plant, das wird nicht klappen, da bin ich mir sicher. So oder so werden Wahrheit und Gerechtigkeit siegen. Und jeder wird sich verantworten müssen.“ ( A.Nawalny, Schweigt nicht – Reden vor Gericht, 2021) Und an einer anderen Stelle sagt Nawalny: „Ich bekomme jetzt jede Menge Briefe, und ungefähr jeder zweite Brief endet mit dem Satz: -Russland wird frei sein-.“ Der Bundestagsabgeordnete Friedrich Merz sagte am 27.2.22 im deutschen Bundestag: „Genug ist genug, das Spiel ist aus.“ Wenn es nicht nur bei dieser Rethorik bleiben und es tatsächlich aus sein sollte – für diesen Verbrecher Putin – dann nehme ich gerne noch mehr schlaflose Nächte in Kauf. Benjamin Ferencz, Jahrgang 1920, Chefankläger bei den Nürnberger Naziprozessen 1946 schreibt in seinem vor Kurzem erschienen Buch „Sag immer deine Wahrheit“: „….Ich will die Welt durch die Herrschaft des Rechts zu einem humaneren Ort machen.“ Und ganz am Ende seines Buches schreibt er: „Gebt niemals auf!“ Die Ukraine ist gerade jetzt dabei, niemals aufzugeben. Die Welt hat sie dabei ohne wenn und aber zu unterstützen! Sollten wir das nicht tun, dann werden wir uns ein Leben lang zu schämen haben.

    Rogger Johann Georg (Hansjörg)
    Publizist
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  • Es reicht!

    (Nichts gewusst, nichts verhindert, alles vertuscht) 

    Drei Bilder zu Beginn:

    Beispiel 1: Wenn jemand nach einem Autounfall flieht, obwohl er den Unfall verursacht hat, spricht man von Fahrerflucht. Strafbar – wie wir wissen.

    Beispiel 2: Wer einen Unfall sieht, aber nicht hilft, macht sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig. Auch das ist vor Gericht zu verantworten.

    Beispiel 3: Wenn sich Kirchenobere an Kindern vergehen, sie sexuell missbrauchen, dann wird vertuscht, gelogen und verdreht. Und diejenigen, die behaupten, nichts gewusst zu haben, falten weiterhin ihre Hände – als sei nichts geschehen. Keine Verantwortung vor Gericht, und wo bleibt die Verantwortung vor Gott?

    Was ist mit den Zehn Geboten Gottes? Gelten die nicht auch für seine irdischen Vertreter? Wenn ja – dann wird es höchste Zeit für eine gründliche Gewissenserforschung.

    Was sich hier über Jahrzehnte zugetragen hat, sind keine bedauerlichen Einzelfälle. Es sind Verbrechen. Systematisch, wiederholt, verschwiegen.

    Höchste Kirchenherren, umgeben von Weihrauch, Ehrfurcht und frommem Schweigen – sie haben viel an Respekt verspielt.

    Ihre Heilslehre? Ein Druckmittel. Eine stille Erpressung im Namen des Glaubens. Brav sein, gehorchen, schweigen. Die Hölle als Keule, das Fegefeuer als Dauerandrohung – ein pädagogisches Konzept aus Angst und Gehorsam.

    Und die, die selbst zu Tätern wurden? Sie richteten sich ihre eigene Hölle bequem ein. Eine Hölle für die anderen – für jene, die ihre Übergriffe zu ertragen hatten, schweigend, beschämt, eingeschüchtert.

    Was als Glaube verkauft wurde, war Machtausübung im Talar. Autokratie mit Kreuz. Und wieder einmal musste Gott herhalten – als Vorwand, als Feigenblatt, als stiller Komplize.

    Im „Namen Gottes“ wurden Frauen lebendig verbrannt, Kriege gesegnet, Verbrecher gedeckt. Man berief sich auf das Himmelreich, während man die Hölle auf Erden entfachte.

    Kaum vorstellbar, dass eine höhere Macht solches Wüten abgesegnet haben soll. Oder war der liebe Gott bloß abwesend – oder längst entmachtet von seinen irdischen Stellvertretern?

    Man hat es bei uns Buben, damals in den 60ern, tatsächlich zuwege gebracht, dass wir uns marterten mit dem Gedanken, beim Ausziehen, beim Baden, beim kleinen und großen Geschäft, geschweige denn bei der Selbstbefriedigung nicht mit unserem „Unanständigen“in Kontakt zu kommen. (Unanständig stand für Penis) Als Sünde wurde es uns verkauft, und ich wette darauf, dass dies von denen, die uns das eingeredet hatten, nie als Missgriff empfunden wurde. Ich hatte mir immer in meinen „verbotenen“ Träumen vorzustellen versucht, wie es der Pfarrer wohl anstellen würde, ohne beim Pingeln dieses „schweinische Ding“, wie wir es gelegentlich genannt bekommen baben, in die Hand nehmen zu müssen. Oder muss ein Pfarrer nicht? Das habe ich mir in meiner Naivität vorzustellen versucht. Ist ein Mann Gottes anders? Sie werden lachen, aber an einen solchen Stumpfsinn habe ich dabei gedacht. Selbstbefriedigung war sowieso verboten und musste dem Pfarrer ins Ohr gebeichtet werden. Heute weiß ich, dass dieses Beichten ein einziges Mal im Beichtstuhl kniend dem Herrn hinter dem Gitter ins Ohr zu flüstern, ein einziges Mal zu viel gewesen war.

    Aber das ist eigentlich Pinatz im Vergleich mit jenen Buben und Mädchen, die den Gottesmännern mit weißem steifen Stehkragen die Hosentür zu öffnen hatten. Beispiele der letzten Jahre gibt es zuhauf; Kremsmünster usw. usw. Südtirol ist nicht ausgenommen. Die heile Welt gibt es nirgendwo.

    „Vielleicht ist nichts Entsetzlicher am heutigen Menschen, als dass er sich nicht mehr entsetzt.“ schreibt der Religionssoziologe Horst Herrmann in seinem Buch „Sex und Folter in der Kirche“ (Sex und Folter in der Kirche, 2000 Jahre Folter im Namen Gottes, Horst Herrmann, Bassermann, 2019)

    Die Kirche hat es verwirkt, Heimat zu sein, lange schon. Ein interessantes Interview mit dem ehemaligen Generalvikar im Erzbistum München und Freising und Priester Peter Beer in der ZEIT Nr. 5/2022 gibt Hoffnung auf Menschen, die die Verkündigung Jesus noch ernst nehmen und nicht mehr alles hinzunehmen bereit sind, was die Kirchenführung diktiert: „Wenn die Kirchenführung meint, dass sie Kinderschänder und Täterschützer in ihren Reihen dulden darf, aber jemanden loswerden muss, der ernsthaft ringt, dann kann sie mich gernhaben……“ (Peter Beer im Zeitinterview, ZEIT, 2022, Nr.5, S.58)

    Johann Georg (Hansjörg) Rogger
    Publizist, 2022

  • Gepredigt, verordnet, weggenommen

    Es war ein Nachmittag. Warm war es, und sie saßen in der Küche beim Kaffee. Ich war ein Bub mit zehn Jahren. So wie wir das immer machten, wir radelten durch das Kaffeekränzchen durch, schrien, lachten und gingen den Kaffeetrinkern nicht selten auf die Nerven. An diesem Nachmittag war es etwas anders. Die Tür war zu und ich konnte von draußen hören, dass es um mich ging. „Wir wollten ihn ‚Hansjörg‘ taufen, aber der Pfarrer hat uns das verwehrt.“ Ich stoppte an der Tür und lauschte. In diesem Moment machte ich mir darüber keine Sorgen, wurde ich doch meistens mit dem Namen Hansjörg gerufen. Meistens! Die anderen Namen, Hansl und Hons gingen mir dermaßen auf die Nerven, dass ich laut aufschreien wollte, aber ich traute mich nicht. Dieser Nachmittag hat aber einiges in mir angefacht. Nicht sofort aber stetig und immer inwendig in mir drinnen. Wenn man es nicht so gut mit mir meinte, dann war ich der mit dem falschen Namen. Wenn ich den anderen wohlgesinnt war, dann war ich der mit meinem richtigen Namen.

    An diesem Nachmittag wuchsen langsam meine Zweifel an dem, was uns jungen Buben und Mädchen von der Kanzel heruntergepredigt wurde. Und der Zweifel wuchs zum Zorn heran. In mir selber, ganz tief in mir drinnen, sodass ihn niemand mitbekommen hat. Der Zorn auf jene Kirche, die mir einen Namen verwehrt hat, der mir zugestanden war. Aus Hansjörg wurde Johann Georg, weil es, so die Begründung des Pfarrers, keinen heiligen Hansjörg gibt. Und wie gesagt, man machte daraus nicht selten jene verkorksten Bezeichnungen, die mich ein ganzes Leben lang nicht in Ruhe ließen. Wer bin ich? Wer will ich sein? Auf den Amtspapieren, in den Ausweisen hieß ich Johann Georg, als Hansjörg wollte ich gerufen werden.

    Die Kirche hat mich in eine Identitätskrise getrieben, aus der ich nicht mehr herausgekommen bin. Kling dramatisch, aber es war nun mal so. Und dabei sollte es die Kirche sein, die das Heil verkündet. Davon ging ich immer aus.

    Den Zorn wollte ich oft herausschreien, aber es ging nicht, ich war zu feige, ich traute mich nicht; die Revolutionen habe ich nur in meinem Kopf ausgefochten, mit mir allein. Ich traute mich nie, offen gegen etwas einzutreten. Dies hätte mir voraussichtlich Nachteile einbringen können, so dachte und fühlte ich. Aber inwendig, da ging es immer zur Sache. Endlos die Situationen in denen ich gekocht hatte.  Nie oder selten hatte ich gewagt, den Deckel zu öffnen, aus Opportunismus, aus Schwäche, aus Feigheit, aus Angst – stimmt alles. Es war einfach so. Es ist mühsam,  nach den Gründen zu fragen, mühsam zu fragen, warum ich mich meiner Gedanken schämte.

    Wenn die Institution Kirche es schafft, dass man ein Leben lang der Identität hinterherlaufen muss, dann muss an dieser Institution etwas faul sein. Seit diesem Nachmittag zweifle ich an der Glaubwürdigkeit kirchlicher Heilsversprechen. Und die Zweifel wuchsen mit den aufgedeckten Verbrechen, die die Kirche zu vertuschen suchte.

    Johann Georg alias Hansjörg Rogger, 2021

  • Leserbrief an die ZEIT zum Artikel von Wladimir Putin: „Offen sein, trotz der Vergangenheit“

    Herr Putin bekommt in der freien Presse ein Forum. Eine bemerkenswerte Stärke der ZEIT. Im eigenen Land gibt es fast nur mehr ihn, der vorgibt, was die wahre und falsche Lesart ist, was sich gehört und nicht gehört. „Wir sind für ein faires und kreatives Zusammenarbeiten“, schreibt Putin. Sehr zynisch! Und Europa hätte gemeinsam mit den USA die Spaltung innerhalb der Ukraine provoziert, noch zynischer. Der Austritt der Krim aus dem ukrainischen Staat sei die Folge davon. Ich weiß nicht, ob das zum Lachen oder zum Weinen ist. Was wird die nächste Provokation sein, die er entdecken will, um seine Lesart der Welt zu verkaufen? Ich bin froh und glücklich, in der freien Welt leben zu können und nicht unter der Lesart eines Mannes, der die demokratischen Regeln dreht und wendet, wie sie ihm gerade passen. Die Umarmung der Herren in Syrien und Belarus? Auch aufgrund einer Provokation Europas? Und der Abschuss des Flugzeuges über der Ostukraine? Auch das als Folge einer Provokation des Westens? Und die Giftanschläge? Bedauernswerter Herr Putin. 

    Hans-Jörg Rogger, Publizist

    Lieber Herr Rogger,

    haben Sie herzlichen Dank für Ihren Brief! Auf den ich Ihnen, als Leiter des ZEIT-Ressorts STREIT, sehr gerne persönlich antworten möchte.

    Wie Sie vermuten werden, haben wir eine große Zahl an Zuschriften auf den Abdruck des Textes von Wladimir Putin hin erhalten. Insgesamt ist eine erfreulich offene und anregende Debatte erwachsen, die ja im Gastbeitrag des litauischen Präsidenten, der eine Erwiderung geschrieben hat, ihren Höhepunkt hatte.

    Ich danke Ihnen in jedem Fall für Ihre Gedanken. In den Zuschriften der Leserinnen und Leser spiegeln sich insbesondere die vielen, verschiedenen Blicke auf Russland wieder. Ihre Zeilen habe ich genau zur Kenntnis genommen. Und auch wenn ich nicht alles teile, freue ich mich doch, nochmals, dass Sie sich an uns gewandt haben!

    Bleiben Sie uns gewogen!
    Mit herzlichem Gruß
    Ihr Martin Machowecz

    Das war im Juli 2021, ein halbes Jahr vor dem Angriff der Russen auf die Ukraine. Kurz nach dem Beginn des Angriffs am 24.2.2022 teilte die Zeit mit, dass es in Zukunft ein no Go sein muss, einem Angreifer ein Forum in der Zeit zu bieten. (Anmerkung: 7 Jahre vor Putins Beitrag in der Zeit hat sich der Kreml die Krim einverleibt. Trotzdem durfte er in der freien Presse schreiben. Ein halbes Jahr nach dem Forum in der Zeit begann er noch gewalttätiger zuzuschlagen.

  • Passen Sie bitte auf Europa auf – offener Brief an den EU-Parlamentarier Herbert Dorfmann

    Es gibt seit geraumer Zeit Kräfte in der EU, die zwar das Recht in Anspruch nehmen, Europas Budget zu beanspruchen, aber sich um die vertraglichen Punkte wenig kümmern. Rechtsstaatlichkeit und Demokratie scheinen plötzlich verhandelbar geworden zu sein. Der ungarische Ministerpräsident Herr Orban sagt: „Es gibt die Einheit der Werte nicht……“ und „…die europäische Demokratie sei wieder herzustellen.“ Da wird augenscheinlich ein Umdeutungsprozess provoziert. Was dann, wenn dieser Umdeutungswille hoffähig wird? Was dann, wenn die weit rechts stehenden Parteien irgendwann das Sagen haben werden? Wenn Recht und Ordnung umgedeutet werden? Wenn das was bisher gut war, schlecht, das Schlechte aber als das Gute verkauft wird? Wer auch immer uns davor behüten kann, der tue es!

    „ˋUm die europäische Demokratie wieder herzustellenˋ (Zitat Orban) will er das Europaparlament entmachten und die Rolle der nationalen Parlamente sowie der Regierungschefs stärken“, schreibt Matthias Krupa in der Zeit vom 1.Juli 2021. 

    Europa sollte sich einer Wertegemeinschaft verpflichtet fühlen. Das lassen uns Europas Vertreter wissen. Beispiel Pressefreiheit. Orban sagt, dass jeder seine eigene Wahrheit haben soll. Also nichts mehr mit Pressefreiheit, wie sie die EU zu definieren gewohnt ist. Und die Rechtsstaatlichkeit: „Auch diese werde national unterschiedlich definiert und sei nichts, worüber die EU zu entscheiden habe.“ (Matthias Krupa, in der Zeit vom 21. Juli 2021) Herr Orban will somit die Deutungshoheit für sich reklamieren. Wenn Herr Putin in Russland oder Herr Lukaschenko in Belarus auf ihrer Deutungshoheit beharren, dann ist das eine Sache, wenn aber ein Mitglied einer vordefinierten Wertegemeinschaft sagt, seine Vorstellung von Demokratie sei nicht das, was die EU gerade praktiziere, dann ist das eine andere Geschichte. Die Deutung in einer Union an sich reißen zu wollen, bedeutet Vertragsbruch. 

    Als die Ungarn um die Integration in die EU gebettelt hatten, dann musste ihnen klar sein, auf was sie sich einlassen wollen. Wenn Herr Orban sich nicht mehr an den Vertrag gebunden fühlt, dann, so der niederländische Premier Rutte, soll der EU-Austritt in Betracht gezogen werden. Genauso funktioniert ein Ehevertrag. Hält man sich nicht mehr an das, was ausgemacht wurde, dann kommt es zur Scheidung. Es ist dies ganz einfach und kann im Vertragsrecht nachgelesen werden. Und noch etwas: Es war erfrischend zu hören, dass endlich, neben Premier Mark Rutte und dem luxemburgischen Außenminister Jean Asselborn auch Frau Von der Leyen Klartext gesprochen haben. Von der Leyen sprach von Schande im Zusammenhang mit dem Gesetz, das Kinder vor nicht heterosexuellen Tendenzen schützen soll. Positionen klar darlegen, ohne diplomatische Höflichkeitsfloskeln, das braucht Europa – ganz dringend. 

    Es ist sehr interessant, dass diejenigen Herren, die im eigenen Land die öffentliche Meinung auf Regierungs- bzw. Parteilinie bringen wollen, aber in Europa und von Europa den Pluralismus für sich reklamieren. Scheint den Herren wohl noch nicht aufgefallen zu sein.

    Bitte erheben Sie laut Ihre Stimme für ein liberales Europa. Entgegengesetzte Tendenzen dürfen sich nicht zum Mainstream entwickeln. Das wäre wohl der Todesstoß für das Europa, das ich zu schätzen gelernt habe. Und noch etwas: der Pluralismus darf nicht dazu missbraucht werden, alles umdeuten zu dürfen. Die Deutung der Werte darf auch in Zukunft nicht extremen und nationalistischen Ideologien überlassen werden. 

    Rogger Johann Georg (Hansjörg), Publizist