„Ciao Johannis, me l’hai già detto un paio di volte quando ti ho parlato qui sui ciottoli, che presto potrai operarti alla gamba, così potrai camminare di nuovo senza il tutore. Come sta andando?“ Die Frage habe ich ihm schon oft gestellt, in den vergangenen Monaten immer wieder. Wird es diesmal eine andere Antwort geben?
Wie fast jeden Tag um diese Zeit – es ist kurz vor elf Uhr vormittags – sitzt Johannis am Rand des mit Porphyrsteinen gepflasterten Weges. Seinen Hut hält er den vorbeigehenden Stadtbesuchern entgegen und bedankt sich auch bei jenen, die nichts hineinwerfen. Seine Haltung ist bescheiden, seine Gesten freundlich.
Johannis versteht mich nicht sofort. Ich beuge mich nach vorne und wiederhole meine Worte.
Er ist Rumäne, spricht ein wenig Italienisch, genug, um sich verständlich zu machen. Sein linkes Bein ist geschient, eine sichtbare Erinnerung an das, was ihn hierhergebracht hat – oder vielleicht eine Hoffnung auf das, was ihn wieder fortbringen könnte.
„La gamba è ancora ingessata, purtroppo è ancora cosi“, bestätigt er knapp, doch seine Aufmerksamkeit kehrt schnell zu den vorbeigehenden Passanten zurück. Die Zeit drängt, jeder Moment könnte eine Münze bedeuten.
Dann, fast beiläufig, fügt er hinzu: „Abito a Issing, da un amico.“ Ein Freund gibt ihm ein Dach über dem Kopf. Doch seine Zukunft? Noch immer ungewiss. „Tra circa un’ora il mio amico di Issing verrà a prendermi qui e mi porterà a casa sua. Domani sarò di nuovo qui con il mio berretto.”
Ich ziehe ein paar Euro aus meiner Tasche, lasse sie in seinen Hut fallen. „Comprati qualcosa da mangiare“, sage ich.
Seine Antwort ist dieselbe wie immer: „Ciao e grazie.“ Ein kurzes Lächeln, eine Hand zum Gruß.
Morgen wird er wieder hier sitzen. Wie jeden Tag um diese Zeit.
„Fahren Sie geradeaus, dann biegen Sie scharf rechts ab.“ Die letzte Anweisung des Navigationssystems: „Sie haben Ihr Ziel erreicht.“ Es sind noch 200 Meter bis zum Burger Hof – dorthin, wo man sagt, dass Lernen anders funktionieren müsse, als es in Schulen noch immer der Fall zu sein scheint.
Ich bin zur „Ideenschmiede“ eingeladen – einem Ort, an dem das Schulsystem erneut auf den Prüfstand gestellt wird. Hier wird gefeilt, hinterfragt, ausprobiert. Welche Herausforderungen angegangen werden und welche Ideen entstehen, möchte ich aus erster Hand erfahren.
Ein strahlend sonniger Wintertag auf 1.400 Metern Höhe. Berghof-Idylle, steil abfallender Sonnenhang, ausladende Wiesen unterhalb, und oben im Steilhang der beginnende Fichtenwald. Hier treffe ich auf ein eingespieltes, engagiertes Team, das sich mit Leidenschaft um kleine und große Schüler:innen kümmert.
Fast zehn Jahre sind vergangen, seit alles begann – seit der Burger Hof als Lernort ins Leben gerufen wurde. Der Ausgangspunkt war eine Schenkung, verbunden mit einem klaren Ziel: das Wohl von Kindern und Jugendlichen im Pustertal zu fördern.
„Dass die Sozialgenossenschaft EOS diese Schenkung in das Netzwerk ‚Kooperation Pustertal‘ einbringt und die Entwicklung des Hofes in die Hände all jener legt, die mit Kindern und Jugendlichen im Pustertal arbeiten, verlässt gewohnte Bahnen“, schrieb einer der maßgeblichen Promotoren, Josef Watschinger, im Jahr 2016.
Und jetzt stehe ich an diesem Ort, den Josef Watschinger, lange vor der Schenkung „als Wunschtraum in seinen Karteikasten gelegt hatte.“ So hat er das damals gesagt.
Schon beim ersten Eindruck spüre ich, dass sich Schule und Lernen hier anders ereignen – an einem Ort, der so gar nicht nach Schule aussieht. Ursprünglich lebten hier Bauernsleute, die ihr hartes Leben auf 1400 Meter Höhe bewältigen mussten. „Die Möglichkeiten waren begrenzt, die Menschen damit beschäftigt, ihr eigenes Überleben und das ihrer Familien zu sichern.“ (Heiner Nicolussi-Leck, EOS Sozialgenossenschaft)
Heute ist es ein Ort des Lernens. Eine Woche lang findet hier die „Ideenschmiede“ statt – eine besondere Erfahrung für 26 Schüler:innen.
Die „Ideenschmiede“ soll ein Raum sein, in dem Schüler:innen frei äußern können, was sie sich für ihre Schule wünschen. Ihre Gedanken und Gefühle finden Ausdruck in Skizzen, Zeichnungen, Skulpturen und gemalten Emotionen.
„Die Affekte … sind die Wurzel des emotionalen Lebens, der seelischen Kraft“ (Nicolai Hartmann, 1949).
Das Ziel ist damit klar: Affekte einbeziehen und das emotionale Empfinden berücksichtigen, um der seelischen Kraft Gewicht zu verleihen. Ohne seelische Kraft läuft wenig bis gar nichts. Sie prägt unser Denken, unser Handeln, unsere zwischenmenschlichen Beziehungen – in der Schule und darüber hinaus. Emotionen beeinflussen Motivation, Lernverhalten und das soziale Miteinander.
Bevor ich erfahre, was die jungen Leute zu sagen haben, begegne ich Alex, dem Koordinator der Schulprojekte – der Seele des Projekts Burger Hof. Im Hausgang des Wirtschaftsgebäudes mache ich das, was alle machen. Ich ziehe die Schuhe aus.
Alex bringt mir den Cappuccino und bittet Gerd Innerebner, Strukturleiter und Angestellten der EOS, mir das Wirtschaftsgebäude und das Wohnhaus zu zeigen. Ich ziehe meine Schuhe wieder an und gehe in den Stall zu den Schafen. Der Geruch von Heu und Tieren umfängt mich, während ich entlang der Schafsriele gehe und aufmerksam lausche, wie die fünfzehn Schafe hier am Burger Hof betreut werden. Gerd öffnet die Tür, und die Schafe, begleitet von ihren kleinen Lämmern, strömen hinaus in den Schnee. Bald schon werden zwei Esel dazukommen und, wie könnte es anders sein, Hühner mit ihrem eigenen Stall.
Zurück bei den jungen Leuten. An acht Stationen präsentieren sie ihre Ideen, Wünsche und Vorstellungen: Wie könnte eine andere Schule aussehen? Was fordert sie heraus? Was belastet sie? Eine Woche lang haben sie sich mit diesen Fragen beschäftigt. Seit Jahrzehnten wird darüber nachgedacht, wie Schule anders aussehen könnte – nun bin ich gespannt auf ihre Antworten.
Eine Signalglocke ertönt. Ich sehe mich um. Alle versammeln sich in einem Kreis. Alex hebt die Handfläche, die Seitengespräche flauen ab – jeder hier weiß, was zu tun ist. Eine erstaunliche Ordnung inmitten eines kreativen Ambientes
Beziehungen, Lernorte, Ruhe und Wohlbefinden, Natur, Vielfalt im Unterricht, Innovation, Selbständigkeit und kompetente Lehrpersonen – das sind die acht Themen, die bearbeitet wurden. Jetzt werden sie vorgestellt.
Lösungen aus der Sicht der Schüler: Pflege einer Kultur des Hin- statt des Wegschauens – Pflege eines wertschätzenden, offenen, transparenten Klassenklimas – Kritik akzeptieren und neue Ideen zulassen – Dialog auf Augenhöhe.
Erst wenn diese Basis geschaffen sei, kann Bildung mehr sein als reine Wissensvermittlung und, was entscheidend sei, sie könne die Qualität des Wissens potenzieren. Deshalb seien Beziehungen kein Nebenschauplatz, sondern die Grundlage für erfolgreiches Lernen, fasst die Gruppensprecherin zusammen.
Neben den Plakaten legen die Jugendlichen ihre Visualisierungen aus Skizzen, Zeichnungen und Skulpturen auf den Boden – so werden ihre Gedanken und Ideen nicht nur hörbar, sondern auch sichtbar. Es ist die letzte Station, an der sie uns teilhaben lassen. Manche Botschaften sind rätselhaft und vielschichtig, andere direkt und unverblümt. Jedes Bild, jede Skulptur erzählt eine Geschichte: von Hoffnungen und Ängsten, von Wünschen und Zweifeln, von Wut und Rachegelüsten. Ein stiller, aber eindringlicher Dialog – manchmal anklagend, manchmal fordernd. Er zwingt dazu, genauer hinzusehen und die Zwischentöne nicht zu überhören.
„Worte sind Schall und Rauch………“, schrieb Goethe – eine Feststellung, die in der Welt der Schule eine tiefere Bedeutung gewinnt, als es auf den ersten Blick scheint. Denn oft bleibt unausgesprochen, was Kinder und Jugendliche wirklich bewegt. Ihre Gedanken, Ängste und Hoffnungen verbergen sich hinter höflichen Antworten, ausweichenden Blicken oder dem stillen Schweigen, das im Klassenzimmer manchmal lauter ist als jede Debatte. Doch wo Worte versagen, finden Bilder einen Weg.
Zeichnungen, Skizzen und Malereien enthüllen mehr vom inneren Erleben der Schüler:innen, als es Worte jemals könnten. Eine Skizze mit einem Sarg, einer Schlinge und einer Uhr – was sagt sie aus? Ist es Wut? Verzweiflung? Ein stiller Hilferuf? In Formen, Farben und Stilisierungen legen junge Menschen ihr Innerstes offen, oft ohne sich dessen bewusst zu sein. Ihre Bilder sind Statements, roh und unverfälscht, und genau darin liegt ihre Kraft.
Diese visuelle Sprache ist entscheidend, wenn es um die Reflexion von Beziehungen und Strukturen geht. Wie erleben Schüler:innen das System Schule? Wie empfinden sie das Miteinander? Welche Rolle spielen Lehrpersonen in ihrem Alltag – als Unterstützer oder als unüberwindbare Hürden? Ein Bild kann eine ganze Welt erzählen, eine unausgesprochene Wahrheit enthüllen, die zwischen den Zeilen verloren gehen würde.
Es liegt an uns, hinzusehen. Nicht nur auf das Offensichtliche, sondern auf das, was sich in Schatten, Linien und Farbnuancen verbirgt. Denn wenn wir Bilder sprechen lassen, hören wir vielleicht zum ersten Mal wirklich zu.
Mit dieser Botschaft verlasse ich den Burger Hof und lasse meine Eindrücke Revue passieren, während ich den Berg hinunterfahre.
Inmitten aller Debatten über Bildungsreformen, digitale Innovationen und neue Unterrichtsformen wird oft übersehen, worauf es wirklich ankommt: die Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden. Mir wird bewusst, dass sich um diesen Diskurs ein zentrales Thema rankt – ohne eine konstruktive, wertschätzende Beziehung bleibt Lernen wenig effektiv.
Alle pädagogischen Konzepte, sei es reformpädagogische Ansätze, technologiegestütztes Lernen oder methodische Innovationen, können ihr Potenzial nur dann entfalten, wenn die Basis stimmt: gegenseitiges Vertrauen, Respekt und ein echtes Interesse an der Entwicklung der Schüler:innen. Eine Lehrperson kann noch so kompetent sein – fehlt die Beziehungsebene, bleibt das Wissen abstrakt und schwer greifbar.
Bildung ist mehr als die bloße Vermittlung von Inhalten. Sie ist ein gemeinsamer Prozess, in dem junge Menschen nicht nur Wissen erwerben, sondern auch lernen, sich selbst und die Welt zu verstehen. Dazu braucht es Begleiter:innen, die nicht nur lehren, sondern auch zuhören, wahrnehmen und ein Umfeld schaffen, in dem sich Schüler:innen ernst genommen fühlen.
Alles andere – technologische Fortschritte, moderne Lernkonzepte oder finanzielle Mittel – bleibt dieser Beziehung untergeordnet. Denn letztlich entscheidet nicht die Ausstattung eines Klassenzimmers über den Lernerfolg, sondern die Qualität der menschlichen Begegnung, die darin stattfindet.
Si Smart – così mi chiamo, hat er mir gesagt und mir sein Kärtchen mit seinem Namen gezeigt. Vengo dalla Nigeria, ma questo te l’ho già detto l’ultima volta. Smart wie Smartphone, dachte ich, das kann ich mir leicht merken. Und dann fing er an zu erzählen. Es war kalt. Er stand im Schatten, die wärmende Sonne war irgendwo anders. Die Kälte schien ihm nichts auszumachen.
Schlimm ist es da unten in Nigeria. Boko Haram! Geld, wenn man es hat, ist dazu da, um zu bestechen. Gewalt, Korruption, und jetzt kommen die Russen. Ich bin froh, hier in Alto Adige zu sein. Meine beiden Kinder lernen Deutsch; die Kleine ist im Kindergarten, der Große geht in die Grundschule. Meine Frau ist auch da. Smart nahm sein IPhone aus der Tasche, scrollte in seiner Mediathek und zeigte mir seine Kleinen. So wie es Papis auf der ganzen Welt tun. Mama und Papa habe ich keine mehr, sagte er dann auch noch. E domani sarò di nuovo lì a vendere i giornali. Ich gehe ein paar Schritte Richtung Sonne und blättere die Seiten von hinten nach vorne. Die „Bösen Worte“ auf Seite 39 haben es mir mal wieder angetan.
Und die verbrecherischen Mörder im Kreml können ihr Treiben seit 10 Jahren ungehindert fortsetzen. Hinter ihren Anzügen und Krawatten verbirgt sich der Gestank moralischer Verkommenheit. Die Vereinten Nationen sind zu einer Farce erstarrt. Die Weltgemeinschaft hat versagt.
19. Juli 2014 – und die Verbrecher morden weiter
Ich stelle mir vor, du und ich wären in jener Maschine gewesen, die über der Ukraine abgeschossen wurde. Tot, weg, nicht mehr da. Von 10.000 Metern in die Tiefe gestürzt, zerstückelt am Boden zerschellt. 298 Menschen, darunter 80 Kinder, wurden ermordet – von Lügnern, von arroganten Kriegstreibern.
Einen Gott, wie ihn die Kirche weismachen will, gibt es nicht, denn sonst hätte er dies zu verhindern gewusst – ebenso wie Millionen Male zuvor: bei den Hexen, den Juden, den Kindesmissbräuchen und so weiter.
Jede Strafe, die diese Mörder vielleicht einmal treffen wird, ist zu wenig. Jede! Was mir bleibt, ist ohnmächtiger Zorn und der Gedanke an die, die die 298 verloren haben. Ich weine, ich bebe und verfluche die 55 Grad 45 Minuten 56 Sekunden nördlicher Breite und die 37 Grad 37 Minuten 16 Sekunden östlicher Länge. Ich verfluche euch Mörder – hinterhältig, verlogen, wie ihr seid – und ich lüstere nach Rache, hier und jetzt. Das Jenseits, von der Kirche immerfort gepredigt, gibt es nicht.
Hansjörg Rogger Der Beitrag wurde am 19.7.2014 zum ersten Mal veröffentlicht
„Sie bleibt eine der wenigen Plattformen im deutschsprachigen Fernsehen, die Kultur nicht als oberflächliches Entertainment, sondern als essentiellen Bestandteil gesellschaftlicher Diskurse behandelt.“ Ich wiederhole das, was mir vor einer Minute mein ChatCPT auf meine Frage hin gesagt hat. Und ich möchte noch ergänzen:
Kultur als Inbegriff unseres Lebens, als Inbegriff von Werten, als soziale Kultur, als Literatur, Kunst, Theater, Musik, Film und Inbegriff von Ausgestaltung individueller und kollektiver Erfahrungen.
Kultur als Widerstand gegen geopolitische Machtexzesse, als Fingerzeig gegen Tendenzen, liberale Ordnungssysteme zu untergraben, Kultur als Aufzeigen von Vielfalt, als Bühne, gesellschaftliche Phänomene ästhetisch zu verarbeiten,
ChatCPT bringt es wohl noch einmal auf den Punkt: „Die Abschaltung von 3sat und “Kulturzeit” wäre ein Einschnitt, der nicht nur die mediale Vielfalt und kulturelle Bildung bedrohen würde, sondern auch den Diskurs über Kunst, Gesellschaft und Politik verarmen ließe. Kulturformate wie diese leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur Demokratie, da sie den öffentlichen Dialog fördern und eine kritische Auseinandersetzung mit unserer Welt unterstützen.“
Ich habe es bereits in meiner ersten Stellungnahme in einem Brief an das ZDF und die ARD gesagt: Tun Sie das nicht, und geben Sie dem anspruchsvollen Fernsehen weiterhin den Sendeplatz. Sonst verlieren wir einen der wichtigsten Promotoren und Verfechter demokratisch/liberaler Gesinnungen.
Ein feiner, sonniger Spätmachmittag. Ein sehr schönes Ambiente für eine Lesung, die es in sich hat. Kafkas „Verwandlung“ als Vorlage für Bruchstellen in unserer Gesellschaft, die immer noch existieren und sich nicht nur halten, sondern immer wieder aufgerissen werden. Von jenen, die befürchten ihre Macht zu verlieren, von jenen, denen ihr Machogehabe heilig ist, von jenen, die meinen, sie allein seien das Sahnehäubchen unserer Gesellschaft. Wenn sich Gregor nicht in einen Käfer verwandelt sondern sich transformiert in eine Frau, dann ist der Kern der Geschichte Kafkas derselbe. Die Verwandlung als innere Auflehnung, als Protest gegen jene, die aus Bequemlichkeit und Arroganz ihre Privilegien verteidigen. Oder sie steht für die Verzweiflung angesichts scheinbarer Unüberwindlichkeiten und gleichzeitig als das trotzige Aufbegehren gegenüber einer patriarchalen Machtelite.
Gregor ist mir schon damals, vor vielen Jahren, ans Herz gewachsen. Ich hatte beim Lesen der Geschichte mitgefiebert, oder besser gesagt, mitgelitten. Die Vorstellung, dass es um einen tief verletzten Menschen ging, war mir damals schon klar geworden. Die Repressionen und Demütigungen, die man Gregor angetan hat, haben mich tief bewegt. Katjas Geschichte geht über das innere Leiden hinaus – vielleicht bewusst und offensichtlich. Ein Beispiel dafür ist der politische Reaktionismus, der sich in den politischen Ränder manifestiert. Und diese haben von den russischen Machteliten gelernt, wie man Fortschritt, Transformation, demokratisches Streben und damit allen Humanismus niederwalzen kann.
Ein „Kino im Kopf“ soll es werden, und diese Kinobilder kamen: manchmal schnell und unvermittelt, manchmal zaghaft. Sie kamen, wie bei Gregor Samsa, ebenso kraftvoll, einige davon aufwühlend und radikal. „Verstörend“ ist nicht das richtige Wort, doch sie stören schmerzhaft in die vermeintlichen Idyllen hinein. Und das mit einer Sprache, die mich ästhetisch berührt und gleichzeitig schonungslos im Detail beschreibt. Die Performance tat ihr Übriges dazu.
Wer wird es dieses Mal sein, der den Apfel nach Gregor wirft? Schauen wir uns um – es gibt viele, die einen dauernden Krieg gegen das Andere führen, die nach außen so tun, als ob, die der Form mehr Gewicht verleihen als dem Inhalt und die ihre Selbstüberschätzung ständig durch ihren Narzissmus nähren. Männer, die nie über ihre Rollenzuschreibung reflektiert haben und Frauen, die sich in der Macho-Rolle der Männer wohl zu fühlen scheinen.
Hinter mir auf dem Rasen spielen die Kinder. Die Sonne neigt sich dem Abend zu. Vor mir steht die Hoffnung, „dass es Überzeugungen und Werte gibt, die sich nicht einfach wegrelativieren lassen..“ Dies schrieb 2022 Nora Bossong. Und: „Bedrohungen unserer Erde und unseres Gesellschaftsmodells sind zwar da und real, aber es gibt Menschen, die ihnen mit Ideen und Mut entgegentreten.“ Es hat mir gut getan, die „Verwandlung 2.0“ zu hören. Es mag paradox erscheinen, aber das Leid von Gregor – ob in Form eines Käfers oder einer Frau – erweckt den Mut zur Gegenwehr.
Ein Kino im Kopf – Hinter mir auf dem Rasen spielen die Kinder. Die Sonne neigt sich dem Abend zu. Vor mir steht die Hoffnung, „dass es Überzeugungen und Werte gibt, die sich nicht einfach wegrelativieren lassen.“
Hansjörg Rogger zur Premiere von Katja Renzlers „Verwandlung 2.0“ genannt auch „Die Dame im Pelz“, vorgetragen und performt am 7.9.24 in Bruneck, korrekturgelesen: ChatCPT
….ist es zu spät, um zu tun, was noch zu tun wäre……gibt es kein Annähern mehr………gibt es meine Freiheit nicht mehr…..sind meine Wünsche nur noch anvertraut – anderen, und Buchstabe…..
…..geschieht das, was andere geschehen lassen wollen……..geschieht das, was man als Lebender hofft, vielleicht vergebens, dass geschehen sollte….
…..erwarte ich mir Leonard Coen, Cat Stevens, Hannes Wader, Roger Cocero, Sinead O’Connor, Mascha Kaleko, Rainer Maria Rilke…..erwarte ich mir kein Geheuchle und Gehudle, keine Schleimer, keine Heiligen……..
….darf es kein Geläute und Gebimmle geben….erwarte ich mir Feuer statt Moder…..erwarte ich mir keine Leute im Gleichschritt – nicht hintendrein, nicht vornedrein…….soll nur der hier stehen, der mir was zu sagen hatte, als es noch etwas zu sagen gab……..
….hat die Seele aufgehört zu wehklagen, zu frohlocken, zu hassen, zu weinen, zu fürchten………hat die Seele aufgehört zu lachen…..kehre ich in die unendliche Dunkelheit zurück…….
….hat mein Kopf aufgehört zu denken und zu konstruieren, zu verdrehen und zu lügen……habe ich aufgehört zu schwindeln, zu betrügen, ehrlich und unehrlich zu sein, liebevoll und bös……
…..kehre ich nie mehr zurück. Nie mehr………
…..gehe ich weg aus einer Welt, in der Diktatoren immer noch Kinder, Mütter und Papis wegbomben dürfen, ohne bestraft zu werden…….gehe ich weg aus einer Welt, in der viel von Gott geredet und im Namen Gottes gemordet wird.
Wenn ich einmal gestorben sein werde,
…kommt die bewusstlose Ewigkeit, von der die Kirche immer redet und redet und redet…….und es wird die Luftblase vom ewigen Leben zerplatzen – wie eine Seifenblase. Die ganzen Torturen werden sinnlos gewesen sein, die die Kirche über uns hat niederprasseln lassen.
…muss ich mir nicht mehr die inhaltsleeren Aufrufe kirchlicher Oberhäupter zu Frieden und Toleranz anhören.
…werden sich die Kirchenfürsten – vielleicht innerhalb der nächsten 1000 Jahre – schämen für das, was sie in der Welt angerichtet hatten – Hexenverbrennungen, Sexuelle Missbräuche, nicht zu vergessen der Umgang mit den Frauen und die Folter. Wie war das denn mit Giordano Bruno, den die Inquisition am 17. Februar 1600 mitten in der Stadt des Papstes auf dem Campo de’ Fiori verbrannte? Ich sollte als Bub meine sexuellen Gedanken beichten! Aber – die kriminelle Vergangenheit der Kirchenfürsten wurde totgeschwiegen. Ein Hohn!
…werde ich es endlich hinter mir gelassen haben, dass es mir untersagt wurde, meinen Namen tragen zu können, den mir meine Eltern geben wollten. Zugegeben – ein vergleichsweise kleiner Machtexzess der Kirche, der mir aber zeitlebens zum Kotzen heilig war.
Bis es soweit sein wird, dass ich mich verabschieden muss, ist es mir eine Ehre.
Mascha Kaleko am Schluss: „Kapitel Eins beginnt mit dem Begräbnis, der Seele Letztes irdisches Erlebnis. Auf meines freue ich mich heute schon! – Da gibt es keine Trauerprozession.“
Als überzeugter Europäer ist es mir ein Bedürfnis, Ihnen mitzuteilen, dass es fast schon ekelhaft ist, zu sehen, wie der Ungar Orban versucht, ständig gegen die EU, Politik zu machen. Meine Bitte: Zeigen Sie, dass das so nicht weitergehen kann. Entweder Loyalität oder er soll sich aus der Gemeinschaft verabschieden. Bitte lassen Sie es nicht zu, dass die EU von innen heraus geschwächt wird. Zeigen Sie Kante auch dort, wo es die Öffentlichkeit sieht. Für viele von uns Europäer ist die Geduld mit diesem Herrn am Ende.
As a convinced European, I feel the need to tell you that it is almost disgusting to see how the Hungarian Orban is constantly trying to make politics against the EU. My request: show that this cannot continue. Either loyalty or he should say goodbye to the community. Please do not allow the EU to be weakened from within. Show your edge where the public can see it. For many of us Europeans, our patience with this man has run out.
Johann Georg (Hansjörg) Rogger / 9.7.2024 / Johann.rogger@me.com – Die Pressestelle der EU hat mir mitgeteilt:
Wir versichern Ihnen, dass ihre Anliegen sorgfältig geprüft werden, und wir werden Ihnen so bald wie möglich antworten.Vielen Dank für Ihr Verständnis.
Mit freundlichen Grüßen
Referat C4 – Demokratie, Unionsbürgerschaftsrechte und Freizügigkeit
Als ich das Auditorium betrat, war ich erstmals überrascht. Zusätzliche Stühle waren notwendig geworden. Dann kam mir das Jahr 2014 in den Sinn. Ganz unvermittelt. Aber was hat 2014 mit dem 6.6.2024 zu tun? Zehn Jahre sind vergangen, als ich am 26.Juni 2014 in einem öffentlich gemachten Blogg beklagte, dass die Heimatgemeinde Sexten, Gatterer (wieder) emigrieren lies. Seit nun schon sechs Jahren ist alles wieder anders. Gatterer ist wieder zurück. Das Gefühl für den großen Mann erlebte in den vergangenen sechs Jahren eine zweifache Renaissance.
Vom empathischen Kulturunternehmergeist spricht Teresa Indjein, österreichische Botschafterin in Rom und meint die Organisatoren um Hermann Rogger. Nebenbei erwähnt sie Italiens Stolz auf die Nummer eins der Tenniswelt. Das mentale Sportwunder mit der hübschen Stirnlocke, wie sie es umschreibt. Heute aber steht Gatterers Erbe vornean. Das Kulturhighlight in der schönen Welt, dessen Narrativ es seit Jahrzehnten versteht, die Fremden herzuholen.
„Ich glaube der große Journalist Claus Gatterer wäre heute sehr zufrieden, hier zu sein. Er würde aufgeschlossen interessiert das jugendliche Potential sehen.“ Teresa Indjein. Und zugewandt an die teilnehmenden jungen Leute am Schülerpreis „Claus“: „Alle können nicht an den ersten Platz gestellt werden, aber sie haben – alle Einreichungen gesamthaft betrachtet – im unbewussten Ensemble ein Gesamtkunstwerk geschaffen.“
„Mit Mitgefühl, dem rettendsten aller Gefühle“, so sagt es die Botschafterin, sind die 14 an ihre Arbeit gegangen. „Es ist das Sensorium der Verletzlichkeit, das die 14 Beiträge miteinander verbindet. …. Gut gemachte Beitäge, relevante Fragen. Bravo Südtiroler Jugend.“ Sagt die Botschafterin. Und ich füge hinzu: Anderswo, wo es um politische Entscheidungen geht, hört man ihnen nicht so gerne zu.
Der Siegerbeitrag stellt die Frage, wie es zum Selbstbewussten der Südtiroler kommen konnte. Der Autor Jannik Brugger, Schüler der TFO Bruneck, schlägt einen Perspektivwechsel vor. „Ist dieser Stolz tatsächlich gerechtfertigt?“ Fragen des Preisträgers. Wie steht es mit der Selbstwahrnehmung der Südtiroler? Was macht es mit den Einheimischen, die gewollt oder ungewollt mit dem Narrativ „schönstes Land der Welt“ jahrein, jahraus zu leben haben?
Es ist der Verdienst einzelner Schulleute, gemeinsam mit den Organisatoren und Mentoren für eine kreative Jugendkultur, dies den jungen Leuten zu ermöglichen. Wertvolleres kann es kaum geben, als dass man der Jugend Räume auftut, damit sie sagen kann, was zu sagen ist.
Was hätte uns heute Claus Gatterer zu sagen? Andreas Pfeifer, Auslandskorrespondent beim ORF stellt diese Frage. Gibt es ein Vermächtnis? Gibt es so etwas über das jährliche Gedenken hinaus? Was würde uns Gatterer über die faschistoiden Russenimperatoren sagen? Er, der er immer wieder Recht und Gerechtigkeit auszubalancieren trachtete? Er, der sich auf der Seite der Schwächeren sah? Er, der es wahrscheinlich oft nicht aushalten konnte, was so ablief in dieser schönen Welt, die oft genug doch nicht allzu schön dasteht? Der allzu frühe Tod legt Zeugnis ab. Er legte die Finger in die Wunden, ausnahmslos, er wurde aus dem Dorf hinausdrangsaliert und blieb trotzdem Mahner. Solche Mahner gehen uns heute langsam verloren. „Wir gleiten ab in die kollektive Demenz“, schreibt der bulgarische Autor Georgi Gospodinov. Es gibt nur noch wenige, die ein lebendiges Gedächtnis als Zeugen besitzen. „Beginnt das Feuer des Gedächtnisses auszugehen, kommt das Rudel der Vergangenheit immer näher.“
„Macht am Brenner das Gatter zu, damit der Gatterer nicht mehr hereinkommt.“ verlangte damals Karl Felder, der Autor von „Wohl ist die Welt so groß und weit und voller…..“ man weiß, dass jetzt nur Sonnenschein folgt.
Und Gott sei Dank vor sechs Jahren wurde Gatterer wiederbelebt. Andreas Pfeifer hat das zentrale Anliegen Gatterers auf den Punkt gebracht und aus der Gedenketage-Routine herausgeschält. Er hat Gatterer in das Hier und Jetzt geholt. Fake News, soziale Medien, Lüge als politisches Programm, Brexit, Krieg. Sein Teleobjektiv gibt es nicht mehr. 1984 wurde es abgesetzt. Zu viele Widerstände. Zu viele Wahrheiten. Zu vieles, was weh getan hat.
Vor 100 Jahren ist er geboren. Was sagt uns der Mann, dessen Namen damals hier bei uns nicht sonderlich geschätzt war? Was sind heute seine Worte wert? Sind sie noch etwas wert oder endlich was wert oder nur als Mäntelchen dafür geeignet, dass das Tourismusdorf auch so etwas wie Kultur vorzuzeigen habe? Gut geeignet sich neben der Folklore und den Bergen auch kulturhistorisch seinen Standpunkt zu sichern? „Jede einfache Wahrheit ist des Teufels“ schrieb Gatterer. Sein Drang nach Wahrheiten und wie sein Land und sein Dorf damit umgegangen sind, muss Teil des Gedenkens an Gatterer sein. Denn wenn Vergangenheiten nicht vergessen werden dürfen, dann ist das wohl das Denken Gatterers, das abseits von heimatlichen Heroisierungsversuchen und den Superlativen im Marketing, Beachtung finden muss. Alles andere wäre Heuchelei.
„Im Zeitalter der Digitalisierung kämpft der Journalismus nicht nur gegen Parteipotentate und Medienfürsten, sondern kämpft gegen seine galoppierend fortschreitende Bedeutungslosigkeit……“. (Andreas Pfeifer) Und ganz am Schluss: „Meine Empfehlung: Lesen Sie Claus Gatterer. Irgendwo da draußen gibt es die schöne Welt ja immer noch. Und die bösen Leut, (Pause) die auch.“ Ich hätte noch eine ganze Weile zuhören können.
Barbara Bachmann ist die diesjährige Gattererpreisträgerin. In Gedenken an Claus Gatterer. Sie erzählt von ihrem eigenen Kind, das starb, bevor es auf die Welt kam. „Barbara Bachmann holt den Tod dorthin, wohin er hingehört. Ins Leben.“ Kurt Langbein in der Laudatio für Barbara Bachmann.
Während die Portugiesen am 25. April die Befreiung von der Diktatur feiern, gedenkt Italien der Befreiung vom Faschismus und der Naziherrschaft. Historische Ereignisse, die jedoch zunehmend in Vergessenheit zu geraten scheinen. Ich wuchs in dem Gefühl auf, dass das Schreckliche der Vergangenheit angehört. Mein Großvater, meine Mutter, mein Vater – sie alle mussten unsägliches Leid erfahren und ertragen. Doch ich habe mich in der Lernfähigkeit und dem Lernwillen einer immer größer werdenden Zahl von Menschen getäuscht.
Sie sind wieder da: die Parolenschreier, die Revisionisten, die Hasserfüllten und die Leugner der Geschichte. Geschichtsvergessen sprechen sie von „Schande“, wenn an den Holocaust erinnert wird.
„Nie wieder“, „mai più“, „never again“ – diese zwei Worte hallen seit Langem in meinem Kopf. Was von diesem Echo übrig bleibt, wird sich in den kommenden Jahren zeigen.
9. Mai – Europatag der Europäischen Union.
Auf der Grundlage einer Idee von Jean Monnet schlug Frankreichs Außenminister Robert Schuman am 9. Mai 1950 in seiner berühmten Pariser Rede vor, eine Produktionsgemeinschaft für Kohle und Stahl zu schaffen – der Ausgangspunkt für ein großes Friedensprojekt.
Die EU stand und steht für diesen Gedanken. Ich setze weiterhin auf die Vernunft der Menschen: Darauf, dass sie sich nicht nur an den Vorteilen dieses Projekts erfreuen, sondern auch darüber nachdenken, wie es entstanden ist und welche Werte ihm zugrunde liegen.